Aufwärmen und Abkühlen sind grundsätzlich asymmetrisch
Nimmt man eine Münze aus einem Eisbad, so wärmt sich diese mit der Zeit auf. Ebenso kühlt sich eine heiße Münze ab, die man soeben aus einer Sauna geholt hat. Dass sich Systeme, hier die Münze, thermisch an ihre Umgebung angleichen, liegt am Wärmestrom, der durch Temperaturunterschiede entsteht. Allerdings läuft diese Angleichung, genannt thermische Relaxation, viel komplizierter ab, wenn große Temperaturänderungen ein System weit aus dem thermodynamischen Gleichgewicht bringen.
Bereits 2020 hat die Forschungsgruppe Mathematische bioPhysik von Aljaz Godec am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften vorausgesagt, dass sich kleine Systeme unter gewissen Annahmen, wie, dass die Temperaturen so gewählt sind, dass das kalte und das heiße System gleich weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt sind, schneller aufheizen als sie abkühlen (Phys. Rev. Lett. 125, 110602 (2020)). Demnach würde sich ein nur wenige Nano- oder Mikrometer kleine und eiskalte Münze in einer Umgebung mit Raumtemperatur schneller erwärmen, als eine ebenso kleine aber heiße Münze abkühlen würde. In Zusammenarbeit mit Forschenden um Raul Rica vom Nanoparticles Trapping Laboratory an der Universität Granada in Spanien konnte das Team diese Vorhersage nun mit Experimenten und durch den Nachweis einer Reihe von Theoremen bestätigen. Dabei verwendeten sie ein optisch eingefangenes kolloidales Teilchen. Bemerkenswerterweise zeigen die Physiker auch, dass die Prozesse beim Aufwärmen und Abkühlen grundlegend unterschiedlich ablaufen. Diese Erkenntnis verändert maßgeblich das Verständnis zur thermischen Relaxation.
Nach der von Lars Onsager (Nobelpreis 1968) entwickelten Theorie zur „Linearen Irreversiblen Thermodynamik“ besteht für gleichgewichtsnahe Systeme zu jedem Zeitpunkt eine lineare Beziehung zwischen den Strömen und den entsprechenden thermodynamischen Antriebskräften. Demnach relaxieren Systeme quasi-statisch in einem thermodynamischen Gleichgewicht, indem sie eine Reihe lokaler Gleichgewichtszustände durchlaufen – eine Annahme, die nur a posteriori gerechtfertigt ist. Die Theorie hat starke Implikationen, zum Beispiel dass (a) Relaxationspfade eindeutig durch thermodynamische Gleichgewichte spezifiziert sind, die zwischen den anfänglichen Nicht-Gleichgewichts- und endgültigen Gleichgewichtszuständen interpolieren, und (b) dass eine Temperatur zu jedem Zeitpunkt den Zustand des Systems (im Sinne der statistischen Mechanik) beschreibt. Außerdem wird (c) ein System, das bei einer kälteren und einer wärmeren Temperatur gestartet wird, bei denen es gleich weit vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt ist, das Gleichgewicht gleich schnell erreichen und (d) die Erwärmung und Abkühlung zwischen zwei festen Temperaturen symmetrisch sein.
Die jetzt in Nature Physics veröffentlichte Studie von Godec und seinem Team zeigt, dass die Aussagen (a)-(d) für Systeme fern vom Gleichgewicht falsch sind. Um die Beobachtungen und insbesondere die starken Abweichungen von der Vorhersage der linearen irreversiblen Thermodynamik zu erklären, haben die Forschenden einen neuen theoretischen Rahmen entwickelt, die sogenannte thermische Kinematik. Dieser Rahmen führt die Konzepte eines metrischen Abstands und einer Geschwindigkeit im abstrakten Raum der Wahrscheinlichkeitsverteilungen ein. Die neue Theorie offenbart unter anderem unvorhergesehene Unterschiede zwischen der Temperaturdifferenz, dem thermodynamischen Abstand und dem thermo-kinematischen Abstand. Wenn ein System jeweils bei zwei Temperaturen vorbereitet wird, eine kälter und eine wärmer als die Umgebung, die so gewählt werden, dass das System thermodynamisch gleich weit vom Gleichgewicht entfernt ist, so ist der Weg, den das System beim Erwärmen nimmt, immer länger ist als der beim Abkühlen. Dennoch ist die Erwärmung aufgrund der schnelleren anfänglichen Expansionsphase schneller als die Abkühlung – die Mikro-Münze erwärmt sich schneller als sie abkühlt. Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung für Anwendungen rundum die Energieumwandlung im Nanomaßstab und das Wärmemanagement mikroskopischer Geräte.