Thermodynamische Transportungleichheit: Inferenz der Dissipation aus dem beobachteten Transport von Einzelmolekülen zu Bulk-Observablen
Kleine biologische Systeme sind aufgrund von thermischen Fluktuationen von Natur aus stochastisch. Die Inferenz der Dissipation, d. h. ob und inwieweit biologische Systeme (oder Prozesse) aus dem Gleichgewicht gebracht werden, aus fluktuierenden Beobachtungen, die in der Regel nur eine kleine Teilmenge von Freiheitsgraden erfassen, bleibt eine zentrale Herausforderung in der modernen Nichtgleichgewichtsphysik. Während sich die bisherigen Ansätze darauf konzentrierten, wie Fluktuationen und Korrelationen von Probe zu Probe mit der Dissipation zusammenhängen oder durch sie begrenzt werden, zeigen neuere Arbeiten der Gruppe Mathematische BioPhysik, dass der durchschnittliche Transport einer allgemeinen Beobachtungsgröße bereits Informationen über die zugrunde liegende Nichtgleichgewichtsthermodynamik aller (einschließlich der verborgenen) Freiheitsgrade enthält.
Transportphänomene sind in biophysikalischen Systemen allgegenwärtig und treten typischerweise weit entfernt vom thermischen Gleichgewicht auf. Die thermodynamische Abweichung vom Gleichgewicht lässt sich am besten anhand der erzeugten Entropie quantifizieren, die Aufschluss über die Energie gibt, die für den Antrieb oder die Aufrechterhaltung des Transports erforderlich ist.
In einer kürzlich in Physical Review Letters (Phys. Rev. Lett. 133, 067101 (2024)) veröffentlichten theoretischen Arbeit haben Cai Dieball und Aljaz Godec aus der Gruppe Mathematische BioPhysik am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen eine Ungleichung abgeleitet, die die thermodynamische Entropieproduktion durch den durchschnittlichen Transport einer allgemeinen Beobachtungsgröße begrenzt. Im Vergleich zu bestehenden Ansätzen ermöglicht die neue Theorie eine zuverlässige Abschätzung der Verschiebung eines Systems aus dem thermodynamischen Gleichgewicht allein anhand von Mittelwerten fluktuierender Größen. Sie gilt daher nicht nur für Einzelmoleküle, sondern auch für Bulk-Observablen und berücksichtigt vollständig alle Trägheitseffekte. Dieser Fortschritt ermöglicht es zum ersten Mal, die Lücke zwischen der stochastischen Thermodynamik und etablierten Bulk-Experimenten wie der zeitaufgelösten Röntgenstreuung zu schließen, die die Dynamik nur gemittelt über ein großes Molekülensemble beobachten können.
Wichtig ist, dass die neuartige Transportungleichung für eine viel breitere Klasse von stochastischen Dynamiken gilt als die bestehende Theorie und somit auch für einen breiteren Bereich von Zeitskalen, was neue Wege auf dem Gebiet der thermodynamischen Inferenz in kleinen Systemen eröffnet, wie z. B. lichtgetriebene weiche Materie, molekulare und künstliche Nanomaschinen oder Brownsche Wärmekraftmaschinen.