Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Vielteilchenphysik erklärt Zelladhäsion
Forschungsbericht
28. September 2021
Wie das kooperative und kollektive Verhalten zwischen Zellen während der Zelladhäsion unter der Wirkung externer, mechanischer Kräfte entsteht, erklären Kristian Blom und Aljaž Godec in ihrer neuesten Publikation. Die Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie liefern damit einen mathematischen Beweis für die Existenz eines neuartigen dynamischen Phasenübergangs. Außerdem diskutieren sie, warum dieses Zellverhalten für den Gewebeumbau, Krebsmetastasen und Immunreaktionen relevant ist. (Physical Review X, 27. September 2021)
Analogie zwischen Ferromagnetismus und Zelladhäsion. Linke Spalte: 16 Spins in ferromagnetischem Material. Bei hohen Temperaturen dominiert die Entropie, so dass die Spins im gesamten Gitter zufällig nach oben oder unten ausgerichtet sind. Bei niedrigen Temperaturen, genauer gesagt unterhalb der Curie-Temperatur, dominiert die Energie, was zu makroskopisch geordneten Bereichen führt, in denen die Spins in dieselbe Richtung (nach oben oder unten) zeigen. Rechte Spalte: Ein Stück einer Zellmembran mit 16 Adhäsionsbindungen. Im Falle einer steifen Membran dominiert die Entropie, so dass die Bindungen im gesamten Gitter zufällig assoziiert oder dissoziiert sind. Bei einer geringeren Membransteifigkeit, genauer gesagt unterhalb der thermodynamisch kritischen Membransteifigkeit, koexistieren makroskopische Bereiche mit nur assoziierten bzw. dissoziierten Bindungen, die sich durch einen als thermodynamischen Phasenübergang bezeichneten Prozess bilden.
Analogie zwischen Ferromagnetismus und Zelladhäsion. Linke Spalte: 16 Spins in ferromagnetischem Material. Bei hohen Temperaturen dominiert die Entropie, so dass die Spins im gesamten Gitter zufällig nach oben oder unten ausgerichtet sind. Bei niedrigen Temperaturen, genauer gesagt unterhalb der Curie-Temperatur, dominiert die Energie, was zu makroskopisch geordneten Bereichen führt, in denen die Spins in dieselbe Richtung (nach oben oder unten) zeigen. Rechte Spalte: Ein Stück einer Zellmembran mit 16 Adhäsionsbindungen. Im Falle einer steifen Membran dominiert die Entropie, so dass die Bindungen im gesamten Gitter zufällig assoziiert oder dissoziiert sind. Bei einer geringeren Membransteifigkeit, genauer gesagt unterhalb der thermodynamisch kritischen Membransteifigkeit, koexistieren makroskopische Bereiche mit nur assoziierten bzw. dissoziierten Bindungen, die sich durch einen als thermodynamischen Phasenübergang bezeichneten Prozess bilden.
Wenn sich Zellen aneinander oder an eine extrazelluläre Matrix binden („kleben“), spricht man von „Zelladhäsion“. Dieses Phänomen ist von enormer Bedeutung für diverse biologische Prozesse. Ursprünglich wurde angenommen, dass die Biochemie der Adhäsionsbindungen bestimmt, wie stark sich die Zellen binden. Tatsächlich scheint es aber die Mechanik, insbesondere die Steifigkeit der zellulären Membran zu sein, die die Bindungskraft entscheidend beeinflusst, wenn nicht sogar dominiert. Auch wie Wechselwirkungen zwischen benachbarten Adhäsionsbindungen durch thermische Schwankungen der zellulären Membran zustande kommen, ist mittlerweile gut erforscht. Im Gegensatz dazu bleibt weiter unklar, inwieweit diese Wechselwirkungen die Stärke und Kinetik der Adhäsion regulieren. Weiter ist nicht bekannt, ob die Wechselwirkungen beeinflussen, wie die Bindungen auf die mechanischen Kräfte reagieren, die in physiologischen und pathologischen Prozessen auftreten.
Ablöse- und Anhaftungszeiten sowie der dynamisch kritische Punkt. Äußere Spalten: Ein Stück einer Zellmembran mit 16 Adhäsionsbindungen, die alle assoziiert (links) oder dissoziiert (rechts) sind. Von oben nach unten: eine steife (stiff) Membran (oberhalb der thermodynamisch kritischen Membransteifigkeit); dynamisch kritische Membransteifigkeit; eine schlaffe (floppy) Membran (unterhalb der dynamisch kritischen Membransteifigkeit). In der mittleren Spalte sind die entsprechenden freien Energielandschaften entlang des Anteils der dissoziierten Bindungen dargestellt, wobei die beiden Endpunkte den vollständig assoziierten (grüner Kreis) und den vollständig dissoziierten (roter Kreis) Zustand widerspiegeln. Unterhalb der dynamisch kritischen Membransteifigkeit ist der Übergang zu einem vollständig assoziierten/dissoziierten Zustand (und damit die linke/rechte freie Energiebarriere) immer geschwindigkeitsbegrenzend, während die detaillierte Form der freien Energielandschaft von der Membransteifigkeit abhängt. Wenn die Steifigkeit größer als die thermodynamisch kritische Membransteifigkeit ist, hat die Landschaft eine einzige Vertiefung, während sie zwei Minima aufweist, wenn die Steifigkeit kleiner als die thermodynamisch kritische Membransteifigkeit ist. Letzteres entspricht einer Koexistenz von dichten und verdünnten makroskopischen Bereichen assoziierter Bindungen. Am dynamisch kritischen Punkt (Mitte) ist die Barriere zum vollständig assoziierten bzw. dissoziierten Zustand am kleinsten, was zur schnellsten Bindungs-/Lösungsrate führt. Jenseits dieses Punktes wird der thermodynamische Phasenübergang geschwindigkeitsbegrenzend, während die vollständig assoziierten und dissoziierten Zustände daraufhin durch typische Dichtefluktuationen erreicht werden.
Ablöse- und Anhaftungszeiten sowie der dynamisch kritische Punkt. Äußere Spalten: Ein Stück einer Zellmembran mit 16 Adhäsionsbindungen, die alle assoziiert (links) oder dissoziiert (rechts) sind. Von oben nach unten: eine steife (stiff) Membran (oberhalb der thermodynamisch kritischen Membransteifigkeit); dynamisch kritische Membransteifigkeit; eine schlaffe (floppy) Membran (unterhalb der dynamisch kritischen Membransteifigkeit). In der mittleren Spalte sind die entsprechenden freien Energielandschaften entlang des Anteils der dissoziierten Bindungen dargestellt, wobei die beiden Endpunkte den vollständig assoziierten (grüner Kreis) und den vollständig dissoziierten (roter Kreis) Zustand widerspiegeln. Unterhalb der dynamisch kritischen Membransteifigkeit ist der Übergang zu einem vollständig assoziierten/dissoziierten Zustand (und damit die linke/rechte freie Energiebarriere) immer geschwindigkeitsbegrenzend, während die detaillierte Form der freien Energielandschaft von der Membransteifigkeit abhängt. Wenn die Steifigkeit größer als die thermodynamisch kritische Membransteifigkeit ist, hat die Landschaft eine einzige Vertiefung, während sie zwei Minima aufweist, wenn die Steifigkeit kleiner als die thermodynamisch kritische Membransteifigkeit ist. Letzteres entspricht einer Koexistenz von dichten und verdünnten makroskopischen Bereichen assoziierter Bindungen. Am dynamisch kritischen Punkt (Mitte) ist die Barriere zum vollständig assoziierten bzw. dissoziierten Zustand am kleinsten, was zur schnellsten Bindungs-/Lösungsrate führt. Jenseits dieses Punktes wird der thermodynamische Phasenübergang geschwindigkeitsbegrenzend, während die vollständig assoziierten und dissoziierten Zustände daraufhin durch typische Dichtefluktuationen erreicht werden.
Das haben Blom und Godec nun untersucht. Für ihre Studie haben die Göttinger Forscher den Adhäsionsprozess auf einem zweidimensionalen, dynamischen Spin-Modell mit folgenden Einflussfaktoren abgebildet: wechselwirkende Adhäsionsbindungen mit einer intrinsischen Affinität und unter Einwirken einer externen Kraft, die zu jedem Zeitpunkt auf alle assoziierten Adhäsionsbindungen gleichmäßig verteilt wird. Die Wissenschaftler liefern einen mathematischen Beweis für die Existenz eines neuartigen dynamischen Phasenübergangs, bei dem Adhäsionsdomänen am schnellsten entstehen (beziehungsweise sich auflösen) und sich die kollektive Vielteilchendynamik qualitativ verändert. Variationen in der Steifigkeit der zellulären Membran und von externen Kräften beeinflussen die Adhäsionsbindungen am stärksten in der Nähe des entsprechenden dynamischen „kritischen Punktes“.
Die Arbeit bietet neue Einblicke in die statistische Physik von Vielteilchensystemen und schlägt eine Brücke von abstrakter Physik zu zellulärer und molekularer Biologie. In Zukunft wollen Blom und Godec ein noch detaillierteres theoretisches Modell der Zelladhäsion erstellen, das Bindungen einbezieht, die sich unter Kraft verstärken – so genannte „catch-bonds“. Damit möchten sie ein tieferes Verständnis der Zelladhäsion unter Krafteinwirkung erreichen. (kb/ag)
Die „Kraftwerke“ lebender Zellen, die Mitochondrien, sorgen unter anderem für die nötige Energie Einen Teil der dafür benötigten Proteine stellen Mitochondrien selbst her – mithilfe spezieller Proteinfabriken, den Mitoribosomen. Göttinger Forschende haben nun entschlüsselt, wie die menschliche Zelle die aus Proteinen und RNA bestehenden Mitoribosomen modular zusammensetzt.
Weibliche Säugetiere, einschließlich des Menschen, werden mit allen ihren Eizellen geboren. Manche der Eizellen werden somit mehrere Jahrzehnte alt – und müssen so lange funktionsfähig bleiben. Extrem langlebige Proteine im Eierstock könnten dabei eine wichtige Rolle spielen und helfen, die Fruchtbarkeit möglichst lange zu bewahren.
Für das Leben auf der Erde ist es unerlässlich, dass Pflanzen Fotosynthese betreiben und mithilfe von Sonnenlicht Sauerstoff und chemische Energie produzieren. Forschenden gelang nun erstmals, die Kopiermaschine von Chloroplasten, die RNA-Polymerase PEP, hochaufgelöst in 3D sichtbar zu machen.
Lipide spielen bei der Entstehung der Alzheimerschen Demenz eine wichtige Rolle. Genaueres über diesen Prozess war jedoch bisher nicht bekannt. Ein Team von Wissenschaftler*innen aus Göttingen, Jülich und Düsseldorf hat nun zum ersten Mal atomare Strukturen der Lipid-Fibrillen-Komplexe bestimmt.
Die Abfallanlage lebender Zellen, das Proteasom, zerkleinert nicht nur ausgediente oder beschädigte Proteine. Es unterstützt das Immunsystem auch dabei, entartete oder infizierte Zellen zu erkennen, indem es sogenannte Immunpeptide produziert. Ein Team um Juliane Liepe hat den Proteinabbau durch das Proteasom im Labor nachgestellt und die dabei gebildeten Peptide erfasst. Dies könnte zukünftig dazu beitragen, Immunpeptide vorherzusagen und neuartige Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten oder Krebs zu entwickeln.
Ein Team um Sonja Lorenz hat die zellulläre Etikettier-Maschine, die Ubiquitin-Ligase HACE1, gebunden an ein wichtiges Zielprotein in voller Länge in 3D sichtbar gemacht. Die Forschenden konnten so wichtige Mechanismen aufdecken, wie HACE1 die zu steuernden Proteine erkennt und wie dieser Vorgang reguliert wird.
Ob wir gesund bleiben oder schwer erkranken, wird von unseren Genen mitbestimmt. Auch die Faltung unseres Genoms hat darauf maßgeblich Einfluss, denn die 3D-Genomorganisation regelt, welche Gene an- und abgeschaltet werden. Forschenden um Marieke Oudelaar und Elisa Oberbeckmann an unserem MPI ist es jetzt gelungen, die 3D-Faltung des Hefegenoms im Labor nachzustellen und die zugrunde liegenden Mechanismen zu entschlüsseln.
Über eine Million Menschen stecken sich jährlich mit dem AIDS-Virus HIV an. Um eine Wirtszelle zu infizieren und sich zu vermehren, muss das Virus sein Erbgut in den Zellkern schleusen und in ein Chromosom einbauen. Teams um Dirk Görlich sowie Thomas Schwartz vom MIT haben jetzt entdeckt, dass sich das Kapsid des Virus zu einem molekularen Transporter entwickelt hat. Dieser kann eine zentrale Verteidigungslinie des Zellkerns direkt durchqueren, die sonst vor eindringenden Viren schützt.
Transmissionselektronenmikroskope in Kombination mit kurzen Lichtpulsen ermöglichen es, nichtlineare optische Prozesse zu untersuchen. Forschende aus Göttingen und der Schweiz haben nun erstmals gezeigt, wie Elektronen komplexe Licht-Zustände in einem mikroskopischen Lichtspeicher in einem Elektronenmikroskop unterscheiden können.
Nimmt man eine Münze aus einem Eisbad, so wärmt sich diese mit der Zeit auf. Ebenso kühlt sich eine heiße Münze ab, die man soeben aus einer Sauna geholt hat. Das sich Systeme, hier die Münze, thermisch an ihre Umgebung angleichen, liegt am Wärmestrom, der durch Temperaturunterschiede entsteht.
Forschende aus Göttingen und Karlsruhe haben einen neuen Behandlungsansatz für die Therapie von Bauchspeicheldrüsenkrebs entwickelt. Die innovative Methode verspricht, die Krankheit künftig gezielter und mit weniger Nebenwirkungen behandeln zu können.
Forschende um Ashwin Chari und Holger Stark haben die Struktur dieser Fettsäurefabrik in bisher unerreichter Auflösung von 1,9 Å sichtbar gemacht. Bei dieser Detailschärfe konnten sie Enzymreaktionen direkt beobachten einen kompletten Produktionszyklus strukturell verfolgen. Die Erkenntnisse liefern neue Ansätze, um Krankheitserreger zu bekämpfen und Fettsäuren nachhaltig herzustellen.