Aktueller Bestand an Pflanzen und Tieren
Welchen Effekt hat das BioDiversum auf die hier lebenden Tier- und Pflanzenarten? Um das zukünftig beurteilen zu können, haben wir im Jahr 2019 die gegenwärtige Flora und Fauna auf unserem Instituts-Gelände von Experten erfassen lassen. Die wichtigsten Erkenntnisse haben wir hier zusammengefasst und die Fachleute gefragt, wie sie diese einschätzen.
Für uns als Forschungsinstitut ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir das BioDiversum auch wissenschaftlich begleiten wollen: Die Entwicklung der Biodiversität und damit der Erfolg des Projekts soll langfristig messbar sein. Nur so können wir später beurteilen, welche unserer Maßnahmen gut und sinnvoll waren und wo wir etwas ändern müssen.
Doch um zu wissen, ob sich die Artenvielfalt durch die geplanten Maßnahmen erhöht, muss man erst einmal herausfinden, was schon da ist. Und so haben wir renommierte Expert*innen aus der Region engagiert, um den Bestand an Pflanzen und repräsentativen Tiergruppen zu erfassen und wertvolle Vorschläge für die Biotop-Gestaltung zu erhalten. Die Expert*innen waren im Frühjahr und Sommer 2019 auf dem Institutsgelände unterwegs: Gerd Brunken erfasste Schmetterlinge und Heuschrecken, Thomas Fechtler Wildbienen, Michael Corsmann Vögel und Jürgen Rommelmann Fledermäuse. Den Vegetationsbestand nahm das Büro Wette + Küneke auf.
Wildbienen
Auf dem Gelände fand Biologe Thomas Fechtler mit 68 Wildbienen-Arten eine durchaus große Vielfalt trotz überwiegend ungünstiger Bedingungen. 18 dieser Arten sind in Deutschland gefährdet oder stark gefährdet. Zehn der vorgefundenen Arten sind auf nur eine Pflanzenfamilie oder gar nur eine Pflanzengattung als Nahrungsquelle spezialisiert.
Herr Fechtler, Sie haben überraschend viele Arten von Wildbienen auf unserem Gelände gefunden. Worauf führen Sie das zurück?
Zum einen zeigt das erfasste Artenspektrum das hohe Besiedlungspotenzial des in einem noch relativ strukturreichen Umfeld gelegenen Institutsgeländes. So konnte ich eine hohe Gesamtartenzahl sowie einige seltene und sehr seltene Arten nachweisen, die in noch zufällig vorhandenen Kleinsthabitaten ihr Auskommen finden. Wildbienenarten sind Biotopkomplex-Besiedler, deren Requisiten wie spezifische Nahrungspflanzen, geeignete Niststrukturen oder spezielle Materialien zum Nestbau in räumlicher Nähe zueinander vorkommen müssen. Dabei überbrücken Individuen durchaus Distanzen von einigen 100 Metern zwischen Neststandort und Nahrungspflanze. Optimal ist es natürlich, wenn die Distanzen gering sind. Geeignete Strukturen auf dem Institutsgelände sind zumeist „vergessene, unordentliche Ecken“ – im positiven Sinn bei Wildbienen! – wo sich einheimische Pflanzenarten kleinflächig etablieren und zur Blüte kommen können oder wo kleine Rohbodenstellen an besonnten Böschungen Nistmöglichkeiten bieten.
Wenn Sie so viele Arten gefunden haben: Geht es den Bienen bei uns also so gut, dass wir gar nichts weiter tun müssen?
Für mich überraschend war die hohe Artenzahl und insbesondere das Auftreten von Raritäten, obwohl die Strukturvielfalt auf dem Institutsgelände eher gering war und die Exposition des Geländes keiner besonders wärmebegünstigten Gesamtsituation entspricht. Die meisten, insbesondere die seltenen Arten kamen nur in sehr geringen Individuenzahlen vor, mitunter konnte ich nur Einzelindividuen nachweisen. Bei gezielten und geeigneten Maßnahmen ist davon auszugehen, dass die Wildbienenarten rasch darauf reagieren können, da sie ja bereits vorhanden sind.
Haben Sie sich über eine bestimmte hier gefundene Art ganz besonders gefreut?
Besonders gefreut habe ich mich über den Nachweis beider für Niedersachsen bekannter Langhornbienenarten, der Mai-Langhornbiene Eucera nigrescens und der Juni-Langhornbiene Eucera longicornis. Obwohl ihre spezifischen Pollenquellen – bestimmte Schmetterlingsblütler – nur in Einzelpflanzen zu finden waren. Beide Arten sind selten beziehungsweise sehr selten. Ebenfalls ihre spezifische Kuckucksbiene, die Langkopf-Wespenbiene, konnte ich nachweisen. Die galt bis vor einigen Jahren noch als ausgestorben oder verschollen für Niedersachsen, konnte inzwischen aber sehr vereinzelt im südlichen Niedersachsen wieder nachgewiesen werden. Sehr bemerkenswert ist der Nachweis der Holz-Blattschneiderbiene Megachile ligniseca, die in Niedersachsen bisher kaum gefunden wurde und auch deutschlandweit stark gefährdet ist. Last but not least möchte ich die Große Schmalbiene Lasioglossum majus nennen: Ob es sich bei dem Einzeltier um den Erstnachweis für Niedersachsen handelt, muss noch abgeklärt werden, zumindest habe ich in den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen keinen weiteren Nachweis innerhalb Niedersachsens entdecken können.
Mit welcher Maßnahme könnten wir den Bienen am meisten helfen?
Zwei Faktoren sind wesentlich: Das Nistangebot lässt sich verbessern, indem man Rohbodenstellen und Erdsteilwände in mikroklimatisch begünstigter Lage schafft, also bevorzugt an südlich und südwestlich exponierten Stellen. Circa 75 Prozent der einheimischen Wildbienenarten nisten im Boden und sind auf solche Offenbodenstellen angewiesen. Ebenfalls sollte die Nahrungssituation verbessert werden: Die Förderung artenreichen Grünlandes bei möglichst abwechslungsreichem Pflegeregime garantiert über die gesamte Vegetationsperiode blühende Nahrungspflanzen. Die Mischungen sollten reichlich Pflanzenarten für im Blütenbesuch spezialisierte Wildbienenarten enthalten. Besonders wertvoll sind Ruderalfluren, die auf Schuttflächen entstehen, da diese zahlreiche für seltene Wildbienenarten besonders wertvolle Pollenquellen beinhalten.
Heuschrecken und Schmetterlinge
Heuschrecken und Falter fand Fachmann Gerd Brunken fast ausschließlich auf der ehemaligen Pferdeweide im Nordosten des Institutsgeländes, und dort vor allem auf den Disteln. Unter den 21 Schmetterlingsarten, die jeweils mit nur relativ wenigen Individuen nachgewiesen werden konnten, war das Große Ochsenauge Maniola jurtina dominant. Außerdem kamen das Kleine Wiesenvögelchen Coenonympha pamphilus sowie der Gemeine Bläuling Polyommatus icarus häufiger vor. Die wenigen Heuschrecken-Arten hingegen bevölkerten die Weide im Sommer zu Tausenden, vorherrschend war der Weißrandige Grashüpfer Chorthippus albomarginatus.
Herr Brunken, Sie haben auf unserem Gelände nur relativ wenige und außerdem Allerwelts-Arten von Schmetterlingen und Heuschrecken gefunden. Hat Sie das überrascht?
Das stimmt nicht so ganz. Unter den Tagfaltern waren schon ein paar durchaus bemerkenswerte Arten. Für die Heuschrecken stimmt die Anmerkung allerdings. Ich hatte bei dieser Gruppe auch kein größeres Artenspektrum erwartet, weil es in dem Untersuchungsgebiet keine Lebensräume gibt, in denen seltenere Heuschreckenarten üblicherweise leben. Bei den Tagfaltern hatte ich mir schon die eine oder andere Art über das gefundene Spektrum hinaus erhofft.
Manche ansonsten häufige Schmetterlingsart fehlt in ihrem Bericht, zum Beispiel der Kleine Fuchs. Woran könnte das liegen?
Der Kleine Fuchs hatte ein extrem schlechtes Jahr 2019. Das gilt mit leichten Einschränkungen zum Beispiel auch für die drei häufigen Weißlinge. Admirale traten vermehrt erst im Spätsommer und Herbst auf, als keine Nahrungspflanzen für die Imagines – die erwachsenen Schmetterlinge – mehr vorhanden waren.
Profitieren Heuschrecken und Schmetterlinge von der Anlage eines Teichs?
Nein. Libellen würden sich allerdings sehr schnell ansiedeln.
Können flugunfähige Insekten größere Distanzen überwinden und sich hier ansiedeln?
Es gibt Heuschreckenarten, die im Prinzip flugunfähig sind. Einige dieser Arten bilden aber auch langflügelige Individuen aus, die gut fliegen und so auch längere Strecken zurücklegen können. Grundsätzlich überwinden auch flugunfähige Insekten größere Entfernungen, zum Beispiel durch Winddrift oder auch durch Verfrachtung entlang von Verkehrslinien.
Vögel
Der Ornithologe Michael Corsmann konnte auf dem Campus 51 Vogelarten nachweisen, 31 von ihnen brüten bei uns. Dabei sind sechs Arten dominant vertreten, sie bilden 50 Prozent der Brutpopulation. Dies sind – angefangen mit der häufigsten Spezies – Mönchsgrasmücke, Amsel, Zilpzalp, Buchfink, Singdrossel und Rotkehlchen. Zu den Arten auf dem Gelände zählen auch 14 gefährdete oder stark gefährdete wie Grauschnäpper und Gartengrasmücke. Insgesamt ist das Artenspektrum durch den umliegenden Wald geprägt, es finden sich nur wenige Arten der offenen Landschaft.
Herr Corsmann, gab es bei der Bestandserfassung Überraschungen?
Nein, eigentlich nicht.
Welche seltenen Arten könnten sich bei uns ansiedeln, wenn wir die richtigen Bedingungen schaffen?
Im Falle eines Gewässers wäre die Ansiedlung von Rohrsängern möglich, natürlich auch von Enten – zunächst Stockenten – und von Teichhühnern. Die Pferdeweide auszumagern, würde die Biodiversität bei den Insekten erhöhen. Dies würde dem Neuntöter zusagen, im Optimalfall auch Wendehals und Wiedehopf – letzterer ist dort schon vor Jahren ein- oder zweimal gesehen worden!
20 Prozent der Vögel, die Sie bei uns gefunden haben, sind Höhlenbrüter. Worauf sollten wir bei der Gestaltung des Biotops achten, um speziell diese Arten zu unterstützen?
Wichtig ist natürlich der Erhalt alter Bäume, auch und gerade, wenn sie schon abgestorben sind. Aber auch geeignete Nisthilfen können helfen. Man müsste sich darüber unterhalten, welche Arten wir fördern wollen. Mir schwebt da beispielsweise der Trauerschnäpper vor.
Fledermäuse
Fledermaus-Experte Jürgen Rommelmann konnte die Rufe von sieben Fledermaus-Arten auf dem Institutsgelände nachweisen, die alle auf der Roten Liste stehen. Vorwiegend flogen hier die auch deutschlandweit am häufigsten vorkommende Zwergfledermaus Pipistrellus pipistrellus und die ihr eng verwandte Mückenfledermaus Pipistrellus pygmaeus. Quartiere fand Rommelmann keine.
Herr Rommelmann, sieben Fledermausarten haben Sie auf dem Gelände erfasst – das klingt erst einmal ganz beeindruckend. Sehen Sie das auch so?
Aus ökologischer Sicht ein erfreuliches Ergebnis, das die schon bestehende Heterogenität des Geländes widerspiegelt. Zwar dominierte die in Deutschland weit verbreitete Zwergfledermaus, aber die Nachweise der übrigen Arten zeigen, dass es sich um ein attraktives Jagdrevier für viele Arten handelt.
Was können wir tun, damit Fledermäuse bei uns Quartier beziehen?
Ich bin mir sicher, dass schon Sommerquartiere in den naturnahen Baumstrukturen bestehen. Der sichere Nachweis erfordert aber oft einen deutlichen höheren methodischen Aufwand mit Netzfang und Telemetrie. Zusätzlich würde aber auch die Anbringung von Fledermauskästen das Quartierangebot verbessern.
Bedeuten mehr Insekten auf dem Institutsgelände automatisch mehr Fledermäuse?
Sicher, denn wie überall, wo es viel Nahrung gibt, finden sich auch entsprechend viele Nahrungsgäste ein. Insofern ist eine vielfältige und individuenreiche Insektenfauna auch ein Anziehungsgrund für Fledermäuse.
Feldhamster
(Erfassung: Mareike Schneider und ihr Hund Smilla)
- Kein Nachweis
Flora
(Erfassung: Büro Wette + Küneke)
- Hoher Anteil an Intensivgrünland und Scherrasen
- Gebäudenahe Grünflächen zum Teil schon mit blütenreicher Begrünung
- Außenanlagen und Straßensaum bisher intensiv bewirtschaftet und mit hohem Aufwertungspotenzial
- Zum Teil nicht standortgerechte Gehölze (Anmerkung: Fällung nicht standortgerechter Fichten im Herbst 2019, da der Bestand massiv vom Borkenkäfer befallen war)