Molekulares „Tai-Chi“ für höchste Präzision

Forscher machen komplexen Bewegungsablauf am Ribosom sichtbar, der die erstaunliche Genauigkeit bei der zellulären Proteinfertigung erklärt

1. Dezember 2016

Höchste Genauigkeit ist nicht nur bei High-Tech entscheidend. Auch lebende Zellen müssen sehr präzise arbeiten. Dies gilt besonders für die Abläufe in den Proteinfabriken der Zelle, den Ribosomen. Denn Proteine – die universellen “Arbeitspferde“ aller Zellen – sind nur dann funktionsfähig, wenn bei ihrer Herstellung die Aminosäuren genau nach Bauplan aneinandergefügt werden. Fehler in der Proteinproduktion können fatale Folgen haben und zu schweren Erkrankungen wie Krebs führen. Forscher um Holger Stark und Niels Fischer haben nun gemeinsam mit Kollegen am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie, an der Universität Göttingen und am Forschungszentrum Jülich in atomarem Detail sichtbar gemacht, wie das Ribosom auf ein Signal hin zuverlässig die korrekte Aminosäure in ein Protein einbaut. Ihre Ergebnisse liefern wichtige neue Einblicke, wie das Ribosom seine Arbeit mit so hoher Genauigkeit ausführen kann und fatale Produktionsfehler vermeidet. (Nature, 1. Dezember 2016)

Um Proteine herzustellen, erzeugt die Zelle zunächst eine Arbeitskopie des entsprechenden Gen-Abschnitts der DNA – die sogenannte  Boten-RNA. Die in Codons organisierte Basenabfolge der Boten-RNA wird dann am Ribosom in die Abfolge von Aminosäuren eines Proteins übersetzt. Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip wird fortlaufend je einem Codon der Boten-RNA das passende Gegenstück eines Aminosäuretransporters (auch Transfer-RNA oder tRNA genannt) zugeordnet, der eine bestimmte Aminosäure anliefert. Die so jeweils einzeln zum Ribosom transportierten Aminosäuren werden dann nacheinander zu einer Kette zusammengesetzt und ergeben schließlich ein neues Protein. Eine entscheidende Rolle hierbei spielt ein kleines Energiespeichermolekül namens GTP. Wird dieses gespalten, ist das der „Startschuss“, eine Aminosäure einzubauen.

Doch genau hier liegt ein Problem. Denn GTP wird nicht an jenem Ort im Ribosom gespalten, an dem die passende tRNA erkannt wird. Dazwischen liegen rund zehn Nanometer (millionstel Millimeter) – eine im molekularen Maßstab riesige Distanz. „Man kann sich dies wie bei einem langen Zug vorstellen, wo der Schaffner ganz am Ende der Wagenreihe dem Lokführer weit vorn das Signal zur Abfahrt erst dann geben darf, wenn alle Türen geschlossen sind. Gleichzeitig muss das Signal über den ganzen Zug hinweg vermittelt werden“, erklärt Niels Fischer, Projektleiter in der Abteilung Strukturelle Dynamik von Holger Stark am MPI für biophysikalische Chemie und Erstautor der jetzt im renommierten Wissenschaftsjournal Nature erschienenen Arbeit.

Eine fundamentale Frage für Ribosomenforscher war daher: Wie wird das Signal, dass jetzt der richtige Aminosäure-Transporter an die Boten-RNA gebunden hat, innerhalb des Ribosoms weitergereicht? Und wie löst dieses Signal an anderer Stelle im Ribosom die Spaltung von GTP aus, damit die richtige Aminosäure in das Protein eingebaut wird?

Signalweiterleitung durch genau kontrollierte Bewegung 

Um diese Fragen zu beantworten, kombinierten Wissenschaftlerteams um Holger Stark, Marina Rodnina und Helmut Grubmüller vom MPI für biophysikalische Chemie sowie Ralf Ficner von der Universität Göttingen und Gunnar Schröder vom Forschungszentrum Jülich in einem hoch interdisziplinären Ansatz die Kryo-Elektronenmikroskopie mit kinetischen Analysen und Computersimulationen. Erst die Kombination dieser Methoden machte es möglich, die entscheidenden Schritte beim Einbau einer Aminosäure in ein Protein direkt sichtbar zu machen. Als Beispiel wählten die Forscher die lebenswichtige Aminosäure Selenocystein, die beim Menschen beispielsweise für Proteine in Redoxreaktionen oder im Schilddrüsen-Stoffwechsel benötigt wird.

Selenocystein wird gemeinsam mit seiner passenden tRNA mittels eines Helferproteins namens SelB an das Ribosom geliefert. Hat diese tRNA schließlich das richtige Codon auf der Boten-RNA erkannt, ändert das Ribosom in einer genau kontrollierten Bewegung (wie beim Tai-Chi) seine Struktur und verschiebt dadurch das SelB-Helferprotein am Ribosom so, dass es die Spaltung des GTP auslösen kann – für das Ribosom das Startsignal, Selenocystein in ein Protein einzubauen. 

„Wir vermuten, dass dieser Mechanismus nicht nur für die von uns untersuchte Aminosäure Selenocystein gilt. Unsere Experimente deuten vielmehr darauf hin, dass dies ein ganz universeller Mechanismus der Qualitätskontrolle am Ribosom zu sein scheint“, erklärt Marina Rodnina. Ihr war es vor rund 20 Jahren gelungen, nachzuweisen, dass es ein solches Signal gibt. „Jetzt konnten wir zum ersten Mal sichtbar machen, wie dieses Signal molekular funktioniert und innerhalb des Ribosoms kommuniziert wird“, ergänzt ihr Direktorenkollege Stark.

Suche nach der Nadel im Heuhaufen 

„Die Signalweiterleitung zu entschlüsseln, war nicht zuletzt deshalb eine so große experimentelle Herausforderung, weil die vielen Teile des gerade einmal 25 Nanometer messenden Ribosoms ständig in Bewegung sind. Es passiert alles gleichzeitig und damit sind immer alle möglichen Zustände der Proteinfabrik in unserer Probe vorhanden. Und diese Zustände sind zudem extrem kurzlebig“, berichtet Fischer. Entsprechend viele Aufnahmen waren nötig, um das Ribosom bei den entscheidenden Schritten des Selenocystein-Einbaus sichtbar zu machen.

„Unter einer Million aktiver Ribosomen zeigte nur ein Prozent die entscheidenden atomaren Details, anhand derer wir etwas darüber lernen konnten, wie am Ribosom die Signalweiterleitung funktioniert. Diese äußerst kurzlebigen Strukturen aus der Masse der Bilder mithilfe einer komplexen Bildverarbeitungssoftware herauszufischen, glich der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, so Fischer. (cr)

 

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