Wie Mikrotubuli zwischen Wachsen und Schrumpfen umschalten

21. März 2022

Wenn in einer lebenden Zelle etwas mit Kraft angepackt, transportiert oder in Form gebracht werden muss, sind meistens Mikrotubuli im Spiel. Bei der Zellteilung fungieren sie als Seilwinden, die die Chromosomenpaare auseinanderziehen und auf die Tochterzellen verteilen. Sie dienen aber auch als Transportschienen für das molekulare Frachtgut oder bringen Zellen in die richtige Form. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, wechseln Mikrotubuli dynamisch zwischen Wachstum und Schrumpfen. Forscher am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften haben nun mithilfe von Computersimulationen aufgeklärt, wie das Umschalten zwischen diesen beiden Vorgängen funktioniert.

Mikrotubuli sind winzige Röhrchen aus ziegelsteinförmigen Proteinen, Tubuline genannt, die sich aneinanderreihen. Um ihr großes Aufgabenrepertoire abzudecken, sind sie höchst dynamisch: Sie wachsen und schrumpfen unentwegt. Dabei lagern sich Tubuline an einem Ende des Röhrchens, dem sogenannten Plus-Ende, an oder brechen weg. Ist dieses dynamische Gleichgewicht gestört, kann sich die Zelle beispielsweise nicht mehr teilen. Mikrotubuli sind daher ein wichtiges Ziel von Krebsmedikamenten.

Verlängern sich die Mikrotubuli, indem sich Tubuline am Plus-Ende anlagern, befinden sie sich gewissermaßen im „Vorwärtsgang“. So können sie gegen Zellwände oder andere Strukturen in der Zelle drücken und diese bewegen. Im „Rückwärtsgang“, wenn sich Tubulin-Moleküle abspalten, erzeugen Mikrotubuli wiederum Ziehkräfte, mit denen sie beispielsweise die Chromosomenpaare bei der Zellteilung trennen. „Bemerkenswerterweise sehen die Enden der Mikrotubuli ‚im Rückwärtsgang‘ denen ‚im Vorwärtsgang‘ zum Verwechseln ähnlich, wenn man sie unter dem Elektronenmikroskop betrachtet. Es sind lange Stränge aus Tubulinen, die sich zu sogenannten Protofilamenten zusammenlagern. In beiden ‚Gangarten‘ sind die Protofilamente dabei gekrümmt und meistens voneinander getrennt, ganz ähnlich wie bei einem Strohbesen”, erklärt Maxim Igaev, Projektgruppenleiter am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften.

Die Balance zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang“ wird durch das Treibstoffmolekül GTP reguliert, das an die Tubuline bindet. Dieses wird durch Spaltung in das „Abgasmolekül“ GDP umgewandelt. Mit gebundenem GTP tendieren Mikrotubuli dazu, sich zu verlängern, mit gebundenem GDP hingegen neigen sie zum Verkürzen. „Was man bereits weiß, ist dass die Zelle die Menge von GTP und GDP nicht zuletzt mithilfe zahlreicher Regulator-Proteine genau steuert und für einen konstant hohen GTP-Spiegel sorgt. Bisher war unklar, was die Mikrotubuli veranlasst, zwischen Wachsen und Schrumpfen umzuschalten, obwohl paradoxerweise immer genug GTP vorhanden ist“, so Igaev.

Elastizität und Klebrigkeit der Tubuline steuern den Gangwechsel

Mithilfe aufwendiger Computersimulationen haben die Wissenschaftler jetzt den Mechanismus dieses „Gangwechsels“ sichtbar gemacht. „Die GTP-gebundenen Tubulin-Protofilamente sind sehr flexibel und können sich dadurch strecken. Erst dann können sich weitere Bausteine anlagern und die Mikrotubuli wachsen. Auch haften die GTP-Tubulin-Protofilamente fester aneinander und stabilisieren die Röhrchen. Mit GDP beladene Tubulin-Protofilamente hingegen sind starrer und kleben weniger aneinander. Das macht die Röhrchen instabiler und begünstigt, dass sie an ihren Enden schrumpfen“, erklärt Helmut Grubmüller, der am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften die Abteilung Theoretische und Computergestützte Biophysik leitet. „Unsere Simulationen haben erstmals sichtbar gemacht, wie die Elastizität und Klebrigkeit der Tubulin-Protofilamente beitragen, dass Mikrotubuli zwischen Wachsen und Schrumpfen umschalten.  Die Erkenntnisse der Göttinger Wissenschaftler könnten einen neuen Ansatzpunkt liefern, die Wirkung bestimmter Krebsmedikamente, die an Mikrotubuli ansetzen, besser zu verstehen. (Maxim Igaev, cr, kr)

Die Computersimulation zeigt die Enden zweier Mikrotubuli-Moleküle, die aus Tubulin-Bausteinen aufgebaut sind. Links: Haben die Tubuline (blau-weiß) das „Abgasmolekül“ GDP gebunden, sind sie stärker gekrümmt, weniger flexibel und haften weniger aneinander. Das Ende des Mikrotubuli-Moleküls erscheint „ausgefranst“, es neigt zum Verkürzen. Rechts: Die GTP-gebunden Tubuline (orange-weiß) sind flexibler und haften stärker aneinander. Das Ende ist weniger ausgefranst und das Mikrotubuli-Molekül tendiert dazu, sich zu verlängern.

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