Molekularer Lotse schafft "verirrte" Proteine auf schnellstem Wege aus dem Zellkern heraus 

16. Februar 2016
Schützende Sicherheits-Kontrollen sind auch für lebende Zellen unverzichtbar. Hochselektive Tore in den beiden Hüllmembranen des Zellkerns – sogenannte Kernporen – überwachen, welche Moleküle in den Kern hinein dürfen und welche nicht. Wie Wissenschaftler um Dirk Görlich und Henning Urlaub am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie nun herausgefunden haben, ist dieser Sicherheitscheck an der Kernpore weniger zuverlässig als bisher gedacht. Die Forscher konnten zeigen, dass sich immer wieder auch Proteine aus dem Zellplasma in den Zellkern verirren. Dort bleiben sie allerdings nicht lange unentdeckt. Ein Shuttle-Protein namens CRM1 erkennt, welches Protein dort nicht hingehört und lotst dieses auf direktem Weg wieder aus dem Zellkern heraus. (eLIFE, 16. Februar 2016

In Zellen von Pilzen, Pflanzen und Tieren herrscht strikte Arbeitsteilung: Sie sind in verschiedene Bereiche – sogenannte Kompartimente – gegliedert, die spezielle Aufgaben übernehmen. Wie in einer Miniaturfabrik gibt es Verpackungs- und Sortierstationen, Kraftwerke und eine Kommandozentrale in Form des Zellkerns. Dieser ist gleichzeitig der Speicher für das Erbgut, das die Baupläne für die Produktion von Proteinen enthält. Die Proteinfabriken allerdings, die nach diesen Anleitungen arbeiten, befinden sich außerhalb des Kerns im Zellplasma. So müssen nicht nur Baupläne aus dem Zellkern exportiert, sondern auch fertige, im Zellkern benötigte Proteine importiert werden. 

Um diese logistische Herausforderung zu meistern, muss die Zelle einigen Aufwand betreiben. Die Kernporen in den Hüllmembranen des Zellkerns fungieren dabei als hochselektive Sortieranlagen, die nur kleine Moleküle direkt passieren lassen. Größeres „Frachtgut“ benötigt einen molekularen Passierschein und ist auf seinem Weg durch die Kernpore auf Shuttles (sogenannte Exportine und Importine) angewiesen.

Doch die Sicherheits-Kontrolle an der Kernpore funktioniert nicht perfekt – und das mit weitreichenderen Folgen als bisher gedacht. Dies zeigen neue aufwendige Proteomik-Experimente der Teams um Dirk Görlich und Henning Urlaub am MPI für biophysikalische Chemie. In einem ersten Schritt ermittelten die Forscher für 5000 verschiedene Proteine am Modell des Krallenfrosches, in welcher Menge sie jeweils im Zellplasma und im Zellkern vorhanden waren. „Wir haben bei dieser ‚Inventur’ wichtige Aufschlüsse darüber erhalten, welche Proteine wo ihre Arbeit verrichten“, berichtet Samir Karaca, Mitarbeiter in Görlichs Abteilung Zelluläre Logistik und Urlaubs Forschungsgruppe Massenspektrometrie. Im nächsten Schritt ermittelten die Wissenschaftler, welche Art von Proteinen vom Exportin CRM1 transportiert wird. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass CRM1 als Transporter beeindruckend vielseitig ist. In Zellen vom Krallenfrosch und vom Menschen erkennt CRM1 bis zu 1000 verschiedene Frachtmoleküle, die es aktiv aus dem Zellkern herausschafft. Bei Hefezellen sind es rund 700“, ergänzt Karacas Kollege Koray Kırlı.

Effizienter Lotse für Proteine, die sich in den Zellkern verirrt haben

„Überraschenderweise sind die Mehrheit der Frachtmoleküle Proteine, die ausschließlich im Zellplasma vorkommen, im Zellkern aber bisher nicht gefunden wurden“, so Karaca weiter. Dass solche Proteine die Shuttle-Dienste von CRM1 benötigen, macht daher auf den ersten Blick keinen Sinn. „Wenn wir CRM1 jedoch in seiner Shuttle-Funktion blockieren, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Dann sehen wir im Zellkern plötzlich auch Zellplasma-Proteine, die sich scheinbar dorthin verirren und allein – ohne Hilfe von CRM1 – nicht mehr herausfinden. Wir vermuten, dass CRM1 den Rücktransport verirrter Proteine so schnell und effizient bewerkstelligt, dass wir ihr extrem kurzes Intermezzo im Zellkern mit verfügbaren Methoden gar nicht erfassen können. Offensichtlich ist CRM1 nicht nur der universellste Transporter in der Zelle. Er arbeitet auch als höchst aufmerksamer und effizienter ‚Lotse’, der falsche Proteine im Zellkern erkennt und umgehend hinausschafft“, sagt Görlich. 

„Unsere Experimente legen nahe, dass es im Zellkern häufiger Irrläufer gibt als bisher gedacht. Versehentlich in den Zellkern gelangte Proteine schnellstens zu exportieren, scheint daher ein lebenswichtiger Vorgang zu sein. Wenn sich mit der Zeit immer mehr Proteine im Zellkern anreichern, die dort nicht hingehören, könnte dies die Funktion der Kommandozentrale empfindlich stören“, so Henning Urlaub. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler erlauben wichtige neue Einblicke, wie die Zelle mithilfe von CRM1 ihre Kompartimentierung aktiv aufrechterhält und sich so vor Schaden schützt. (cr)

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht