Leibniz-Preis für Marina Rodnina

10. Dezember 2015

Marina Rodnina, Direktorin am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie, erhält den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2016. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ehrt die Biochemikerin damit für ihre wegweisenden Beiträge zum Verständnis der Funktion von Ribosomen. Der wichtigste deutsche Wissenschaftspreis ist mit 2,5 Millionen Euro dotiert.

„Ich freue mich sehr, dass unsere Forschung diese große Anerkennung erfährt. Glücklicherweise habe ich ein wundervolles Team, das solche erfolgreiche Arbeiten möglich macht. Dieser Preis hilft uns, weitere herausfordernde Fragestellungen auf unserem Gebiet anzugehen“, sagte Marina Rodnina nach der Bekanntgabe durch die DFG. Der Geschäftsführende Direktor des MPI für biophysikalische Chemie, Herbert Jäckle, gratulierte der Preisträgerin: „Es ist immer etwas Besonderes für Wissenschaftler, wenn sie etwas erreicht haben und andere dies anerkennen. Mit ihrer Forschung an Ribosomen hat Frau Rodnina bahnbrechende Erkenntnisse über einen grundlegenden Prozess des Lebens gewonnen – wie Zellen Proteine herstellen. Die DFG hat diese wichtigen Arbeiten mit dem Leibniz-Preis geadelt. Wir freuen uns mit Frau Rodnina riesig über diese Auszeichnung und sind stolz auf den großartigen Erfolg unserer Kollegin.“ Mit Marina Rodnina haben nun 13 Wissenschaftler, die am Institut forschen oder geforscht haben, den renommierten Leibniz-Preis erhalten.

Marina Rodnina ist es gelungen, zentrale Prinzipien der Funktionsweise von Ribosomen – den Proteinfabriken lebender Zellen – aufzuklären. Ihre Erkenntnisse haben dazu beigetragen, die hohe Präzision bei der Proteinherstellung zu verstehen. Proteine sind als „molekulare Arbeiter“ an praktisch allen zellulären Vorgängen beteiligt. Die Bauanleitungen für die Proteine sind als genetische Information in der DNA einer jeden Zelle festgeschrieben. Bei der Proteinherstellung wird diese genetische Information in eine Kette von Aminosäuren übersetzt, die sich dann zu der dreidimensionalen Struktur eines Proteins faltet. Für diese Übersetzung ist das Ribosom zuständig. Die komplexe Miniatur-Maschine besteht selbst aus über 50 Proteinkomponenten sowie drei bis vier Ribonukleinsäure-Molekülen. Mit einem Durchmesser von 20 bis 30 Nanometern (millionstel Millimeter) ist sie winzig. Ihre Funktionsweise lässt sich daher nur mit großem Aufwand untersuchen.

Rodnina und ihr Team nutzen dazu verschiedene biophysikalische Methoden wie Fluoreszenzmessungen und Verfahren, die den Ablauf schneller chemischer Reaktionen verfolgen. Ihre Abteilung Physikalische Biochemie setzt weltweit Maßstäbe, diese komplexen Methoden für die Ribosomenforschung anzuwenden und weiterzuentwickeln.

Die Wissenschaftlerin interessiert unter anderem, wie „Störfälle“ in der Proteinfabrik vermieden werden. „Der Zusammenbau der Proteine muss äußerst genau sein und Proteine mit exakt der richtigen räumlichen Struktur liefern. Nur dann sind sie auch funktionsfähig. Wir möchten verstehen, welche Prozesse am Ribosom für die Qualitätskontrolle sorgen und wie Fehler verhindert werden. Denn selbst kleine Fehler können für die Zelle fatale Folgen haben“, erklärt die Biochemikerin. Wichtige Grundprinzipien der Qualitätskontrolle hat Rodnina in der Vergangenheit bereits erfolgreich aufklären können. Ihre Forschungsarbeiten haben sich dabei vor allem auf den Zusammenbau der Proteine in Bakterien konzentriert. Unter anderem fand sie heraus, wie das Ribosom mit einem als induced fit bezeichneten Mechanismus erkennt, welche Aminosäure für jede einzelne Position im Protein die richtige ist.

Ein weiterer zentraler Gegenstand von Rodninas Forschung ist es, mehr über die strukturelle Dynamik des Ribosoms zu erfahren. „Während es Proteine herstellt, ist die Proteinfabrik ständig in Bewegung. Wir wollen diese Dynamik sichtbar machen, um die Abläufe am Ribosom besser zu verstehen.“ Außerdem untersucht die Max-Planck-Forscherin „absichtliche“ Fehler des Ribosoms: Gelegentlich muss die molekulare Maschine einen scheinbaren Fehler machen, um ungewöhnliche Aminosäuren in ein Protein einzubauen. Die Biochemikerin möchte wissen, welche molekularen Mechanismen diese Ausnahmen von der Regel steuern.

Für die nächsten Jahre hat sich die Wissenschaftlerin mit ihrem Team noch einiges mehr vorgenommen. „Wir wollen unsere Methoden zukünftig anwenden, um die Proteinproduktion in höheren Zellen wie zum Beispiel Hefen zu untersuchen, einem noch sehr viel komplexeren System.“ Die grundsätzlichen Prozesse sind denen in Bakterien zwar ähnlich, doch es gibt wichtige Unterschiede. Dies macht man sich beim Einsatz bestimmter Antibiotika zunutze: Denn solche Antibiotika blockieren nur bakterielle Ribosomen, die Proteinfabriken menschlicher Zellen bleiben dagegen verschont. Die Struktur und Funktion des Ribosoms besser zu verstehen ist daher unerlässlich, um zukünftig neue Antibiotika entwickeln zu können. „Der Leibniz-Preis gibt uns große Freiheit, diesen Plan weiter voranzutreiben“, so die Forscherin.

Neben Marina Rodnina zeichnet die DFG neun weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungsbereichen aus. Die Leibniz-Preise 2016 werden am 1. März 2016 in Berlin überreicht. (fk/cr)

 

Über die Preisträgerin

Marina Rodnina hat in Kiew (Ukraine) Biologie studiert und dort 1989 promoviert. Anschließend kam sie mit einem Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Witten/Herdecke, wo sie von 1992 bis 1997 als wissenschaftliche Assistentin arbeitete. Nach der Habilitation 1997 wurde sie dort zur Universitätsprofessorin berufen und hatte von 2000 bis 2009 den Lehrstuhl für Physikalische Biochemie inne. 2008 wechselte sie als Direktorin an das MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen, wo sie seither die Abteilung Physikalische Biochemie leitet. Sie ist Mitglied der European Molecular Biology Organisation (EMBO) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Im Jahr 2015 wurde sie mit dem Hans Neurath Award der Protein Society ausgezeichnet.

 

Über den Leibniz-Preis

Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis wird seit 1986 jährlich von der DFG verliehen. Neben dem hohen Renommee verschafft die Auszeichnung den Wissenschaftlern mehr Freiheit für ihre Forschung. Sie können das Preisgeld von bis zu 2,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne bürokratischen Aufwand verwenden. Es soll die Forschungsbedingungen verbessern, von administrativen Aufgaben entlasten und die Einstellung besonders qualifizierter Nachwuchswissenschaftler erleichtern. Mit den zehn Auszeichnungen für 2016 haben bislang insgesamt 364 Wissenschaftler den Leibniz-Preis erhalten.

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