Chemie-Nobelpreis 2014 geht an Max-Planck-Forscher Stefan Hell

 

10. Dezember 2014

Im festlichen Ambiente des Stockholmer Konzerthauses hat Stefan W. Hell am 10. Dezember den Chemie-Nobelpreis 2014 erhalten. Er teilt sich den Preis mit Eric Betzig und William E. Moerner. König Carl XVI. Gustaf von Schweden überreichte dem Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie die goldene Medaille samt Urkunde. Der Physiker erhielt die Auszeichnung für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der ultrahochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie. Hell gelang es, die bisherige Auflösungsgrenze optischer Mikroskope radikal zu unterlaufen – ein Durchbruch, der neue wegweisende Erkenntnisse in der biologischen und medizinischen Forschung ermöglicht. Die Freude war auch in Göttingen groß. In seinem Heimatinstitut verfolgten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Festakt gemeinsam live auf der Leinwand.

Als Stefan Hell am 8. Oktober den Anruf aus Stockholm bekam und erfuhr, dass er den diesjährigen Nobelpreis für Chemie bekommen wird, saß er gerade an seinem Schreibtisch und war in eine Veröffentlichung vertieft. „Zuerst denkt man natürlich, das ist ein Scherz“, erinnert sich Stefan Hell an den ersten Moment. Doch schnell wich der Schreck einer „riesengroßen Freude“. Der Physiker sagt: „Es freut mich sehr, dass die Arbeit von mir und meinen Mitarbeitern die höchste Auszeichnung erfährt, die man als Wissenschaftler erhalten kann.“ Max-Planck-Präsident Martin Stratmann betont: „Das ist eine wunderbare Würdigung der Pionierarbeiten von Stefan Hell. Es wird ein Wissenschaftler ausgezeichnet, der den Mut hatte gegen viele Widerstände, ausgetretene Pfade zu verlassen und vermeintliche Glaubenssätze in Frage zu stellen. Nur so kann in der Wissenschaft wirklich Neues entstehen.“ Stefan Hell ist der 18. Nobelpreisträger der Max-Planck-Gesellschaft. Mit ihm haben nun vier Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie die höchste wissenschaftliche Auszeichnung erhalten. Der Chemie-Nobelpreis ist mit acht Millionen Schwedischen Kronen (rund 880.000 Euro) dotiert.

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Mit seiner Erfindung der STED (Stimulated Emission Depletion)-Mikroskopie, die er 1999 experimentell realisierte, hat Stefan Hell die Lichtmikroskopie revolutioniert. Herkömmliche Lichtmikroskope haben eine Auflösungsgrenze, die durch die Wellennatur des Lichts bedingt ist: Objekte, die weniger als 200 Nanometer (millionstel Millimeter) voneinander entfernt sind, können nicht mehr getrennt wahrgenommen werden. Die von Ernst Abbe entdeckte Auflösungsgrenze – in einer Jenaer Gedenkstätte in Stein gemeißelt – galt für mehr als ein Jahrhundert für praktisch unumstößlich. Auch die häufig in der Biologie und Medizin eingesetzte Fluoreszenzmikroskopie musste bisher vor dieser Grenze halt machen. Dabei werden Moleküle der Zelle mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert und mit Laserlicht einer bestimmten Wellenlänge gezielt „angeschaltet“, sodass sie leuchten. Liegen die Moleküle enger beieinander als 200 Nanometer, verschwimmen sie allerdings auch hier zu einem verwaschenen Fleck. Für Biologen und Mediziner bedeutete dies eine massive Einschränkung – denn für sie sind weitaus kleinere Strukturen in lebenden Zellen interessant. 

Der 51-jährige Physiker Stefan Hell hat als Erster einen Weg gefunden, die Abbesche Auflösungsgrenze von Lichtmikroskopen radikal zu unterlaufen – mit einem völlig neuen Konzept. Bei der von ihm erfundenen und zur Anwendungsreife entwickelten STED-Mikroskopie ist die Auflösung nicht länger durch die Lichtwellenlänge begrenzt. Dadurch ist es erstmals möglich, Strukturen in einer Zelle mit einer heute bis zu zehnmal besseren Detailschärfe im Vergleich zu herkömmlichen Fluoreszenzmikroskopen zu beobachten. „Ich hatte damals intuitiv gespürt, dass hier etwas noch nicht zu Ende gedacht wurde“, erinnert sich Hell. 

Er und sein Team wenden mit dem STED-Mikroskop einen Trick an, um dem Phänomen der Lichtbeugung ein Schnippchen zu schlagen. Hierbei wird einem Strahl, der die Fluoreszenzmoleküle anregt, ein zweiter Lichtstrahl, der STED-Strahl, hinterhergesandt. Dieser bewirkt genau das Gegenteil: Er regt die Moleküle sofort ab und hält sie so dunkel. Damit der STED-Strahl aber nicht alle Moleküle abschaltet, hat er in der Mitte ein Loch. Dadurch werden Moleküle am Rand des Anregungs-Lichtflecks dunkel, wohingegen Moleküle im Zentrum ungestört leuchten können. Die Helligkeit des STED-Strahls kann so eingestellt werden, dass die Ausdehnung des Bereichs, in dem die Moleküle fluoreszieren können, beliebig verringert werden kann. Mit einem gegenüber dem klassischen Fokus typischerweise um einen Faktor zehn verengten fluoreszierenden Bereich wird die Probe abgerastert und somit ein Bild erstellt.

Doch nicht nur Momentaufnahmen sind mit dem neuen STED-Mikroskop möglich. Sogar Lebensvorgänge im Inneren lebender Zellen lassen sich damit „live“ mit Nanometer-Auflösung verfolgen. So gelang es dem Team um Hell, erstmals die Bewegungen von Botenstoff-Bläschen in einer Nervenzelle in Echtzeit zu „filmen“ – mit 33 Bildern pro Sekunde und einer Auflösung von rund 70 Nanometern.

Mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zu STED und weiteren damit verwandten Verfahren wie der 4Pi-Mikroskopie hat Stefan Hell in den vergangenen Jahren ein Fenster aufgestoßen, um weit in den Nanokosmos lebender Zellen vorzudringen. In der Erforschung von Krankheiten oder der Entwicklung von Medikamenten biete die STED-Mikroskopie reichlich Potenzial, betont Hell. „Wenn sich direkt beobachten lässt, wie ein Medikament in der Zelle wirkt, könnte die Entwicklungszeit neuer therapeutischer Wirkstoffe enorm verkürzt werden.“


Zur Person

Stefan W. Hell (Jahrgang 1962) studierte in Heidelberg Physik. Nach seiner Promotion im Jahr 1990 in Heidelberg verfolgte er seine Ideen zunächst als „freier Erfinder“. Nach seiner Zeit als Postdoktorand am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg ging er 1993 als Gruppenleiter nach Turku, Finnland. Dort entwickelte er das Prinzip der STED-Mikroskopie. Von Turku wechselte Hell 1997 als Leiter einer Max-Planck-Nachwuchsgruppe an das MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen, wo er seit 2002 die Abteilung NanoBiophotonik leitet. Er ist Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Honorarprofessor für Experimentalphysik an der Georg-August-Universität Göttingen. Darüber hinaus leitet er die Abteilung Optische Nanoskopie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. 

Für seine Leistungen wurde Hell schon vor Zuerkennung des Chemie-Nobelpreises mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Er erhielt unter anderem den Preis der International Commission for Optics (2000), den Carl-Zeiss-Forschungspreis (2002), den Karl-Heinz-Beckurts-Preis (2002), den 10. Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten (2006), den Julius-Springer-Preis für Angewandte Physik (2007), den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2008), den Niedersächsischen Staatspreis (2008), den Otto-Hahn-Preis für Physik (2009), den Ernst-Hellmut-Vits-Preis (2010), den Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft (2011), den Göteborger Lise-Meitner-Preis (2010/11), den Meyenburg-Preis (2011), die Paul Karrer Medaille (2013), die Carus-Medaille der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2013) und den Kavli-Preis für Nanowissenschaften (2014). Im Jahr 2014 wurde er auch in Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen. Stefan Hell hält Ehrendoktorwürden der Universitäten Turku (Finnland) und Vasile Goldis (Rumänien) sowie der Polytechnischen Universität Bukarest (Rumänien).


Über den Nobelpreis für Chemie

Der schwedische Chemiker und Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel (1833-1896), legte fest, dass sein Vermögen den Menschen zugute kommen soll, die mit ihrer Forschung den Menschen größten Nutzen gebracht haben. Der Preis wird seit dem Jahr 1901 am Todestag von Nobel am 10. Dezember in Stockholm in vier Kategorien verliehen: Physiologie oder Medizin, Physik, Chemie und Literatur. Der Nobelpreis für Chemie wurde seit 1901 von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften an 169 Preisträger verliehen. 63 Mal wurden Einzelpersonen ausgezeichnet. Das Durchschnittsalter der Chemie-Nobelpreisträger liegt bei 58 Jahren. Schon einmal ging ein Nobelpreis für Chemie an das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie: Manfred Eigen erhielt die Auszeichnung im Jahr 1967.

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