Virale Vinaigrette

Um sich zu vermehren, greift SARS-CoV-2 in die physikalische Trickkiste

16. Dezember 2020

Das Coronavirus SARS-CoV-2 bildet winzige Tröpfchen, um sich in infizierten Zellen möglichst effektiv zu reproduzieren. Dieses Phänomen haben Forschende am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und dem Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie entdeckt. Es bietet möglicherweise Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten. (Nature Communications, 27. November 2020)

Das Coronavirus trägt seine Erbinformation – in Gestalt der sogenannten RNA – in seinem Inneren; allerdings nicht „nackt“, sondern umgeben von einem Eiweißstoff: dem „Nucleocapsid-Protein“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Göttinger Standort des DZNE und am MPI für biophysikalische Chemie haben jetzt nachgewiesen, dass dieses Protein und die RNA gemeinsam zu winzigen Tröpfchen kondensieren können, wenn der Erreger sein Inneres in eine Wirtszelle entlädt. Fachleute sprechen bei diesem physikalischen Phänomen von einer „Flüssig-Flüssig-Phasentrennung“, denn die viralen Tröpfchen treiben innerhalb einer anderen Flüssigkeit: dem Medium im Inneren der Zelle. „Die Situation ist ähnlich wie bei einer Vinaigrette, bei der feine Fetttröpfchen und andere Zutaten innerhalb einer wässrigen Lösung herumschwimmen“, sagt Markus Zweckstetter, Forschungsgruppenleiter am DZNE und MPI für biophysikalische Chemie.

Winzige Kopiermaschinen

Diese Tröpfchenbildung ist allerdings keine Spezialität des Coronavirus, erläutert der Biophysiker: „Solche dynamischen Gebilde aus Proteinen und anderen Substanzen entstehen im Inneren von Zellen auf natürliche Weise. Die Zellen verwenden sie als Lagerstätten und Reaktionskammern. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass sich das Coronavirus diese Möglichkeiten ebenfalls zunutze macht. Man vermutet das auch bei anderen Erregern.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die mikroskopischen Geschehnisse mithilfe der sogenannten NMR-Spektroskopie und anderer Verfahren, die es ermöglichen, Struktur und Dynamik von Molekülen unter die Lupe zu nehmen. „Diese Tröpfchen sind für den Erreger winzige Kopiermaschinen. Darin konzentrieren sich auf engstem Raum diverse molekulare Substanzen, die für die Replikationsmaschinerie des Virus benötigt werden“, so Zweckstetter. Neben einem Enzym mit der Bezeichnung  „RNA-abhängige RNA-Polymerase“ geht es dabei um sogenannte Helferproteine. „Infolgedessen entstehen in den Tröpfchen molekulare Abschriften des viralen Genoms, die die Wirtszelle fatalerweise dazu verwendet, Kopien des Erregers herzustellen.“

Ansatzpunkt für Medikamente?

 Das Team um Zweckstetter fand zudem heraus, dass das Enzym „SRPK1 Kinase“, das im menschlichen Körper natürlicherweise vorkommt, das Nucleocapsid-Protein chemisch verändert und dadurch die Bildung der viralen Tröpfchen beeinflusst. „Es gibt einen Wirkstoff, der dieses Enzym ausbremst. In Laborstudien einer anderen Arbeitsgruppe hat sich gezeigt, dass dieser sogenannte Inhibitor die Infektiosität des Coronavirus deutlich verringert. Möglicherweise geschieht dies über Einwirkung auf die Tröpfchenbildung. Hier könnte sich ein Ansatzpunkt für die Entwicklung von Medikamenten auftun.“ (mn/DZNE)

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