Auf die Größe kommt es an

Forscher enthüllen, wie Ionenkanäle streng zwischen verschiedenen Ionensorten selektieren

23. Juli 2018
Ionenkanäle spielen eine entscheidende Rolle bei wichtigen Prozessen in unserem Körper wie der Kommunikation von Nervenzellen und der Anspannung von Muskeln. Sie bilden Poren in der Zellmembran und ermöglichen es geladenen Teilchen (Ionen) in rasanter Geschwindigkeit in Zellen hinein- und wieder hinauszuströmen. Viele Ionenkanäle sind auf eine bestimmte Ionensorte spezialisiert.  Ein Team aus Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie sowie den Universitäten Dundee (UK) und Groningen (Niederlande) hat nun geklärt, wie Kaliumionen so effizient und gleichzeitig so exklusiv durch Kaliumkanäle schlüpfen: Sie passieren die Kanäle „nackt“. (Nature Chemistry, 20. Juli 2018)

Kaliumkanäle repräsentieren die größte Familie unter den Ionenkanälen. Sie kontrollieren beispielsweise die Dauer der Herzkontraktion, sind an der Regulation des Blutflusses beteiligt und beenden einzelne Nervenimpulse. Damit all diese Vorgänge reibungslos funktionieren, ist es entscheidend, dass Kaliumkanäle nur Kaliumionen hindurchlassen, während andere Ionen am Durchfluss gehindert werden.

Als Filter für die Ionen dient dabei die engste Stelle des Kanals: Hier wird sichergestellt, dass nur Ionen mit passender Größe und elektrischer Ladung hindurchströmen. Aber wieso erlauben Kaliumkanäle den rasanten Durchfluss von Kaliumionen, während die kleineren Natriumionen zuverlässig ausgeschlossen werden? An der Ladung kann es nicht liegen, denn die ist bei beiden gleich. Einem Team aus Wissenschaftlern des MPI für biophysikalische Chemie sowie der Universitäten Dundee und Groningen ist es jetzt gelungen, diese Frage zu beantworten: Nur Kaliumionen können ihre Wasserhülle abstreifen, um durch den engen Kanal zu gelangen.

Lange vermuteten Forscher, dass sich im Inneren des Filters nicht nur Ionen, sondern auch Wassermoleküle aufhalten, die die Ionen umhüllen und voneinander trennen. „Diese Vermutung wurde stets bei computergestützten Experimenten berücksichtigt, in denen Ströme durch Ionenkanäle simuliert wurden, um die Funktionsweise der Kanäle genauer zu untersuchen. Doch die Stromstärken in den Simulationen waren nie so hoch wie bei direkten Messungen in lebenden Zellen“, so Bert de Groot, Forschungsgruppenleiter am MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen.

Vor wenigen Jahren hatten neue Analysen eines Forscherteams um de Groot schließlich ergeben, dass Kaliumionen im Filter wie auf einer Perlenschnur aufgereiht sind und sehr eng beieinandersitzen – ohne Wassermoleküle, die die geladenen Teilchen voneinander abschirmen. Die räumliche Nähe führt dazu, dass die Ladungen sich wie identische magnetische Pole gegenseitig abstoßen und so den Durchfluss durch den Kanal beschleunigen. Jetzt passten die Ergebnisse aus Simulationen und Zell-Experimenten zusammen.

Kaliumionen passieren ihren Kanal "nackt".

In ihrer aktuellen Veröffentlichung haben die Wissenschaftler nun mit aufwendigen Computersimulationen rekonstruiert, warum der Kanal Ionen so gut selektiert und Natriumionen den Kaliumkanal nicht ohne Weiteres passieren können. Wojciech Kopec, Postdoktorand in der Forschungsgruppe von de Groot und Erstautor der jetzt im Journal Nature Chemistry erschienenen Arbeit, berichtet über die neuesten Ergebnisse: „Kaliumionen legen ihre Wasserhülle komplett ab, um durch die enge Pore zu gelangen. Natriumionen hingegen behalten ihre Wasserhülle. Damit sind sie letzten Endes größer als ‚nackte‘ Kaliumionen – und zu groß für den engen Kaliumkanal-Filter. Durch ihre Größe werden sie also effizient vom Durchfluss durch den Kanal abgehalten.“

Doch warum tun Natriumionen es den Kaliumionen nicht gleich und entledigen sich ebenfalls ihrer Wasserhülle? Die kleineren Natriumionen halten ihre Wasserhülle fester: Sie gehen stärkere Wechselwirkungen mit den Wassermolekülen der Umgebung ein, da ihre Ladung kompakter ist. Daher ist schlicht mehr Energie nötig, um sie von ihrer Wasserhülle zu befreien. „Tatsächlich durchqueren Natriumionen die Membran gewöhnlich zusammen mit Wassermolekülen. Deshalb haben Natriumkanäle auch fast dreimal so breite Poren wie Kaliumkanäle,“ erklärt Ulrich Zachariae von der Universität Dundee, der die wissenschaftliche Arbeit gemeinsam mit de Groot geleitet hat. Da Ionenkanäle wichtige Angriffspunkte zahlreicher Medikamente sind, beispielsweise solcher gegen Herzrhythmusstörungen, ist ein detailliertes Verständnis der Funktionsweise von Ionenkanälen von großer Bedeutung. (ad)

 

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