Eines der drei stärksten hochauflösenden 1,2-GHz-NMR-Spektrometer weltweit steht nun in Göttingen

22. Juli 2020
Es sieht aus wie eine riesige Thermoskanne und wiegt acht Tonnen. Nicht nur deshalb ist das neue 1,2-GHz-NMR-Spektrometer ein Schwergewicht in der weltweiten Forschungslandschaft: Mit seiner magnetischen Feldstärke setzt es neue Maßstäbe in der hochauflösenden Kernspinresonanz (NMR)-Spektroskopie:
28,2 Tesla – fast 600.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld. Derzeit gibt es drei dieser Hightech-Geräte, neben der Universität Florenz und ETH Zürich steht jetzt eines in Göttingen am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie. Die Kosten für die Anschaffung des Spektrometers belaufen sich auf 12,5 Millionen Euro.

Ein 60-Tonnen-Kran und zwei Sattelschlepper waren nötig, um das neue NMR-Spektrometer unversehrt in der eigens gebauten Halle am Institut aufzustellen. Die innovative Technik wird den Teams um die Strukturbiologen Christian Griesinger und Markus Zweckstetter ermöglichen, ihre Forschung auf dem Gebiet neurodegenerativer Erkrankungen weiter auszubauen. Auch neue Erkenntnisse in der Krebs- und Infektionsforschung erhoffen sich die Göttinger NMR-Experten

„Das wissenschaftliche Konzept zur Beschaffung dieses Hochleistungsgeräts hatte die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft überzeugt und so wurde die Finanzierung beschlossen. Denn mit diesem einzigartigen Spitzengerät werden ganz neue Einblicke möglich sein, wie Biomoleküle strukturell aufgebaut sind und wie diese sich bewegen. Eine vielversprechende Basis für bahnbrechende Erkenntnisse“, freut sich Max-Planck-Präsident Martin Stratmann mit den Göttinger Wissenschaftlern über die Lieferung des neuen Spektrometers.

Entstanden ist das wissenschaftliche Konzept in Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), für die Diethelm Richter mit weiteren Kollegen des Göttingen Campus zeitgleich das thematisch passende „Center for Biostructural Imaging of Neurodegeneration“ (BIN) initiierte und plante. Die Anschaffung des neuen NMR-Spektrometers erforderte eine ungewöhnliche Mischfinanzierung durch die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Land Niedersachsen. Letzteres warb unter hohem Einsatz für diese Art der Förderung: „Die gemeinsamen Arbeiten am Göttingen Campus zwischen Universität und forschenden Partnern sind bereits heute eine Klasse für sich. Mit einem der drei international stärksten NMR-Spektrometer werden die gemeinsamen Anstrengungen belohnt. Den Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stehen jetzt die modernsten Forschungsmöglichkeiten weltweit zur Verfügung“, so Björn Thümler, niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur.

1,2-GHz-NMR-Spektrometer

Es sieht aus wie eine riesige Thermoskanne und wiegt acht Tonnen. Nicht nur deshalb ist das neue 1,2-GHz-NMR-Spektrometer ein Schwergewicht: Mit seiner magnetischen Feldstärke setzt es Maßstäbe in der hochauflösenden Kernspinresonanz (NMR)-Spektroskopie: 28,2 Tesla – fast 600.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld.

Wolfgang Brück, Vorstand Forschung und Lehre der UMG, sagt: „Mit dem neuen 1,2-GHz-Spektrometer wird das exzellent aufgestellte und hochmoderne Bildgebungs-Portfolio am Göttingen Campus weiter verstärkt. Forschungsvorhaben der Universitätsmedizin Göttingen werden insbesondere über die etablierten Kooperationen mit außeruniversitären Partnern im Rahmen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und des Center for Biostructural Imaging in Neurodegeneration von der hochauflösenden NMR-Spektroskopie profitieren. Dies wird für die Erforschung und Behandlung von Erkrankungen auf dem Gebiet der Neurologie und Onkologie ein wichtiger zukünftiger Baustein sein.“ 

Fast 600.000-mal stärker als das Erdmagnetfeld

„Die NMR-Spektroskopie erlaubt es, für jedes Atom in einem Molekül seine Beweglichkeit auf einem breiten Spektrum von Zeitskalen zu analysieren. Das neue Gerät wird uns bei den Messungen eine um bis zu 60 Prozent höhere Empfindlichkeit liefern als unser bisher stärkstes Spektrometer mit 950 MHz“, erläutert Max-Planck-Direktor Griesinger. Er ist einer der weltweit führenden Experten in der Entwicklung von Methoden für die NMR-Spektroskopie und deren Anwendung auf biologische Fragestellungen.„Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschieben immer wieder Grenzen. Das bedeutet, dass sie auch Instrumente brauchen, die Grenzen verschieben“, sagt Max-Planck-Vizepräsidentin Asifa Akhtar.

Die Teams um Griesinger und Zweckstetter sowie die Forschungsgruppen um Loren Andreas und Stefan Glöggler werden mit dem Hochleistungs-Gerät zukünftig Proteine charakterisieren, die sich mit anderen Methoden nur schwer untersuchen lassen. Dazu gehören beispielsweise Membranproteine oder Proteine, die miteinander verklumpen. „Solche Proteinverklumpungen schädigen Nervenzellen und tragen zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie der Parkinson- und Alzheimer-Krankheit bei“, erklärt Zweckstetter, Professor an der UMG sowie Gruppenleiter am MPI für biophysikalische Chemie und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen kann Griesingers Gruppe gemeinsam mit dem Team um Armin Giese an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bereits erste Erfolge vorweisen. Ihnen war es 2013 gelungen, einen Wirkstoff namens anle138b zu entwickeln, der in Tests an Mäusen das Fortschreiten der Proteinverklumpungen und Schädigungen von Nervenzellen verzögert hat. „Das Besondere an unserer neuen Substanz ist, dass sie erstmals direkt an den Proteinverklumpungen ansetzt und deren Bildung hemmt“, sagt der Strukturbiologe. Anle138b wird durch die Firma MODAG, einer Ausgründung aus der LMU und der Max-Planck-Gesellschaft, derzeit in einer klinischen Phase I-Studie auf eine Verträglichkeit für den Menschen geprüft. „Mit dem neuen 1,2-GHz-Spektrometer können wir die strukturellen Veränderungen, die anle138b an den Proteinverklumpungen erzeugt, mit atomarer Auflösung sichtbar machen“, so Griesinger.

Andere Proteine sind experimentell schwer zugänglich, weil sie in der Zelle in oder an einer biologischen Membran sitzen. Können diese Proteine ihre Arbeit nicht mehr verrichten, kann dies zu ernsten Erkrankungen führen. Membranproteine dienen daher als Angriffsziele für eine Vielzahl medizinischer Wirkstoffe. „Hier bietet uns das neue Hochleistungs-Spektrometer ganz neue Möglichkeiten, diese Membranproteine in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen“, berichtet Zweckstetter. Die Göttinger Forscher arbeiten derzeit unter anderem an Membranproteinen, die Infektionen durch Viren ermöglichen, darunter auch das Corona-Virus.

Ein maßgeschneidertes Zuhause

Für das neue Hochleistungsgerät ist in 19 Monaten Bauzeit auf dem Institutsgelände eine weitere NMR-Halle entstanden – und zwar maßgeschneidert: So durfte nahe der zukünftigen NMR-Spektrometer kein Stahl im Gebäude verbaut werden; damit besitzt das Gebäude eine aufwändige Statik. Dicke Fundamente stellen zudem sicher, dass keinerlei Schwingungen von innen und außen die empfindlichen Messungen stören. Nicht zuletzt reagieren die Experimente auf kleinste Temperaturschwankungen, sodass hohe Anforderungen an die Heizungs-und Lüftungsanlagen zu erfüllen waren.

Bis das Gerät für die Forschung einsatzbereit ist, werden allerdings noch Wochen ins Land gehen. Zunächst muss die Isolationshülle des NMR-Spektrometers – ähnlich wie bei einer Thermoskanne – für rund drei Wochen luftleer gepumpt werden, um ein Hochvakuum zu erzeugen. Parallel wird das Gerät in zwei Schritten abgekühlt, erst mit flüssigem Stickstoff auf -196 °C, dann mit flüssigem Helium auf die Endtemperatur von -271 °C. Nur bei dieser tiefen Temperatur können die supraleitenden Magnete im Inneren des NMR-Spektrometers ihre hohe Stromdichte und Stromstärke sowie das starke Magnetfeld stabil halten. Nach rund vier Wochen kann das Herzstück des Geräts – die Magnetspule – geladen werden.  

Diese ist eine neue Entwicklung der Firma Bruker im „Sandwich“-Format: hochtemperatursupraleitender Draht für die innere Spule und „normaler“ niedrigtemperatursupraleitender Draht für die äußere Spule. Erst mit dieser besonderen Konstruktion lässt sich erstmals eine derart hohe, homogene Feldstärke von 28,2 Tesla für die Hochauflösungs-NMR erzeugen. Hat das Göttinger Hightech-Gerät diese Feldstärke schließlich erreicht, können die Forscher mit dem Testen der Probenköpfe und ersten Messungen beginnen. (cr/is)

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