Hauke Hillen

Hauke Hillen

...ergründet unsere rätselhaften mitochondrialen „Mitbewohner“

Seit Ende 2020 führt Hauke Hillen ein Doppelleben: Er ist Professor für Protein-Biochemie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und leitet eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie. Wie er zu seinem Beruf kam, woran er forscht und wie er beide Tätigkeiten verbindet, verrät er in diesem Porträt.

„Dass ich einmal Biochemiker und Strukturbiologe werde, hätte ich als Jugendlicher nie gedacht. Immerhin hatte ich Biologie nach der 10. Klasse abgewählt,“ lacht Hillen. Erst ein Nebenjob in einem Labor gegen Ende seiner Schulzeit weckte bei dem gebürtigen Erlanger die Faszination für Naturwissenschaften. Sein Vater, selbst Chemiker, ermutigte ihn zu einem Biochemie-­Studium in Tübingen. Während dieser Zeit arbeitete er als Praktikant und wissenschaftliche Hilfskraft am dortigen MPI für Entwicklungsbiologie und verbrachte ein Auslandssemester an der University of California Berkley (USA) in der Abteilung der späteren Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna. So kam Hillen schnell in Kontakt mit seinem Forschungsthema: Strukturen und Funktionen molekularer Maschinen in komplexen Zellen. 

Von molekularen Maschinen und seltsamen Mitochondrien

Ähnlich wie Zahnräder, die in Uhrwerken ineinandergreifen, bestehen molekulare Maschinen aus vielen einzelnen Molekülen, die ineinanderpassen, sich bewegen und zusammenarbeiten, um unterschiedliche Funktionen zu
erfüllen. Diese Gebilde in unseren Zellen ermöglichen beispielsweise Muskelkontraktionen, sind unerlässlich, um für unseren Körper Energie zu produzieren und sie sind wesentlich an der sogenannten Genexpression beteiligt. Bei letzterem Prozess werden nach Vorgabe der genetischen Informationen auf der DNA Proteine gebildet. Um die Bauanleitung für die Proteine aus der DNA abzulesen, schreibt eine molekulare Kopier­maschine, genannt RNA-Polymerase, diese exakt ab. Dieser Vorgang des Kopierens ist die erste Phase der Genexpression – die Transkription. In der letzten Phase, der Translation, werden die Proteine dann nach der Bauanleitung zusammengesetzt. „Meine Doktorarbeit habe ich bei Patrick Cramer durchgeführt, dessen Forschung sich ja um RNA-­Polymerasen und die molekularen Abläufe und Strukturen bei der Transkription dreht“, erläutert Hillen. „Allerdings war ich thematisch schon damals ein bisschen ‚Außenseiter‘ in der Gruppe, da ich die Transkription in Mitochondrien und nicht im Zellkern untersucht habe.“ 

Mitochondrien sind umgangssprachlich bekannt als die „Kraftwerke unserer Zellen“, denn sie ermöglichen es dem Körper, durch Atmung Energie zu gewinnen. Sie sind Bestandteil aller komplexer gebauten Zellen, verfügen jedoch über ihr eigenes genetisches Material und die gesamte molekulare Maschinerie, um diese Gene auszulesen. Diese sogenannte mitochondriale Genexpression ist überlebenswichtig, denn ohne sie können die Zellorganellen ihrer Funktion als Kraftwerke nicht nachkommen. Warum Mitochondrien eigene Gene besitzen, scheint weitestgehend aufgeklärt. Höchstwahrscheinlich waren ihre Vorfahren Alpha-­Proteobakterien, die irgendwann von Archaebakterien verschlungen, jedoch nicht verdaut wurden. Im Verlauf der Evolution entstand zwischen beiden eine lebenswichtige Abhängigkeit und die Alpha-­Proteobakterien entwickelten sich in ihrer Wirtszelle zu Zellorganellen. Dieser Schritt wird als der Grundstein für die Entwicklung von höheren, mehrzelligen Lebewesen wie Tieren und Pflanzen betrachtet. Schließlich sind Mitochondrien heute noch permanente Mitbewohner in unseren Körpern.

„Das Spannende an den Mitochondrien ist, dass ihre molekularen Maschinen für die Genexpression zum Teil komplett anders aufgebaut sind, und zwar nicht nur im Vergleich zum Zellkern, sondern auch im Vergleich zu denen in Bakterien, also ihren vermuteten Vorfahren,“ erklärt Hillen begeistert. So ähnelt beispielsweise die mitochondriale RNA-Polymerase am ehesten dem entsprechenden Enzym aus Viren (genauer gesagt aus Bakteriophagen). Unklar bleibt, wie einzelne Prozesse der Genexpression in den Mitochondrien ablaufen, wie diese mit der Genexpression im Zellkern koordiniert werden oder welche molekularen Maschinen noch beteiligt sind. Dabei ist es allein schon aus medizinischer Sicht wichtig, diese aufzuschlüsseln. Denn Funktionsstörungen der Mitochondrien zählen zu den häufigsten Erbkrankheiten und können verschiedene Organe einzeln, gleichzeitig oder nacheinander betreffen. Herzmuskelschwäche, Sehstörungen oder Epilepsie sind nur einige der möglichen Folgen. Oft fehlt jedoch das mechanistische Verständnis zu den Ursachen mitochondrialer Erkrankungen, was Therapien schwierig bis unmöglich macht.

Zwei Stellen, die sich perfekt ergänzen

Mit der Erforschung der molekularen Strukturen und Mechanismen der mitochondrialen Transkription während seiner Doktorarbeit entdeckte Hillen seine Faszination für die mitochondriale Genexpression, durch die er dem MPI für biophysikalische Chemie seit Jahren die Treue hält. „Ursprünglich hatte ich geplant, nach meiner Promotion nochmal ins Ausland zu gehen. Aber um meine Experimente durchzuführen, brauche ich ein gewisses Repertoire an Ausrüstung und Expertise, und da ist das MPI-BPC wirklich Weltklasse“, erzählt der Biochemiker. „Außerdem gibt es hier und an der UMG viele Expert*innen, mit denen ich mich super austauschen kann. Da fiel die Wahl nicht schwer.“ So arbeitete Hillen zunächst als Postdoktorand in der Abteilung von Cramer, erhielt aber schnell eine eigene Projektgruppe. 2020 bewarb er sich erfolgreich auf eine Juniorprofessur an der UMG und startete parallel eine unabhängige Forschungsgruppe an unserem Institut, für die er zurzeit Teammitglieder rekrutiert. Die beiden Stellen ergänzen sich perfekt: Sowohl an der UMG als auch am MPI für biophysikalische Chemie kann der Wissenschaftler sich mit Kolleg*innen beratschlagen, die an anderen Aspekten der Mitochondrien forschen. Am MPI für biophysikalische Chemieprofitiert er zudem vom Austausch und der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, die im Bereich der Struktur- und Zellbiologie arbeiten. Dabei pendelt er mit seinem Rennrad beinahe täglich zwischen beiden Einrichtungen hin und her.

Altbewährte und neue Methoden kombinieren

Um den Geheimnissen der Mitochondrien auf die Spur zu kommen, möchte der Wissenschaftler mit seiner Forschungsgruppe mehr über die Abläufe der mitochondrialen Gen­expressionen und die Strukturen der beteiligten molekularen Maschinen herausfinden. Dafür setzt er auf zwei Herangehensweisen. „Bei unserem Bottom-Up-­Ansatz reinigen wir einzelne Komponenten molekularer Komplexe mithilfe von Bakterien- oder Insektenzellen auf und bauen die Maschinen dann im Reagenzglas Stück für Stück zusammen“, erklärt Hillen. „Dann untersuchen wir sie mit biochemischen Experimenten auf ihre Funktionen und ermitteln ihre Strukturen mithilfe der Röntgenkristallographie oder Kryo-Elektronenmikroskopie.“ In der Kryo-Elektronenmikroskopie werden die Proben schock gefroren und dann im Elektronenmikroskop untersucht. Dabei werden oft tausende stark vergrößerter Bilder aufgenommen, auf denen die Proteinkomplexe als einzelne Partikel sichtbar sind. Mithilfe von Computern lässt sich daraus am Ende eine dreidimensionale Struktur der einzelnen Komponenten errechnen. 

Ergänzend zur Arbeit mit künstlichen Proben möchte die Forschungsgruppe beim Top-Down-Ansatz außerdem molekulare Maschinen direkt aus Zellen isolieren und strukturell untersuchen. Methodisch ist die Forschung mit solchen
natürlichen Proben zwar schwieriger, bietet jedoch bessere und realistischere Einblicke in die tatsächliche Umgebung der molekularen Komplexe. Zudem hofft der Forschungsgruppenleiter, zukünftig ganze Mitochondrien statt nur einzelne Bestandteile auf molekularer Ebene betrachten zu können. Dies würde viele neue Erkenntnisse zur mitochondrialen Genexpression bringen. Die dafür notwendige Methode, genannt Kryo-Elektronentomografie, erregt bereits großes Interesse in der Wissenschaftswelt, birgt aber noch viel Entwicklungspotential. 

Für die kommenden Jahre werden Hillen und sein Team unsere geheimnisvollen zellulären Mitbewohner in Göttingen erforschen, und so wird er weiterhin den Faßberg hoch radeln – angetrieben von Mitochondrien. (kr)

Fünf Fragen an Hauke Hillen

Welchen anderen Beruf könnten Sie sich vorstellen?

Früher habe ich manchmal davon geträumt, Pilot zu werden. Allerdings bin ich mehr als zufrieden mit meiner Jobwahl. Es ist wirklich ein Privileg, wenn man sein Interesse zum Beruf machen kann!


Welches Land würden Sie gern bereisen?

Ich war noch nie in Afrika, daher würde mich eine Reise durch Länder wie beispielsweise Südafrika und Namibia sehr reizen. Auch Skandinavien fasziniert mich sehr, weil es in weiten Teilen sehr dünn besiedelt ist und viel Natur zu bieten hat.


Was würden Sie tun, wenn Sie mehr Zeit hätten?

Ich würde die Zeit nutzen, um mehr zu reisen und Familie und Freunde zu besuchen, die mittlerweile verstreut in Europa und der Welt leben. Diese Kontakte sind mir sehr wichtig, aber es ist nicht immer einfach, die Zeit zu finden, um sich regelmäßig zu treffen und in Verbindung zu bleiben.


Wie tanken Sie nach einem harten Arbeitstag Energie?

Mein Ausgleich zur Arbeit mit dem Kopf ist der Sport. Ich jogge sehr gern und fahre auch viel Rad. Früher habe ich auch regelmäßig Squash gespielt, was derzeit aufgrund der Pandemie leider nicht möglich ist. Außerdem schöpfe ich viel Kraft aus der Zeit, die ich mit Familie und Freunden verbringe.


Sie warten auf die Entdeckung/Erfindung von…?

Beamen – so wie bei Star Trek! Ich reise sehr viel, sowohl beruflich wie privat, daher wäre es eine tolle Sache, wenn man sich die langen Zugfahrten ersparen könnte.

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