Fettsäurefabrik bei der Arbeit gefilmt
Detailscharfe Aufnahmen liefern neue Einblicke in die zelluläre Fettsäureproduktion
Fettsäuren sind für Lebewesen unverzichtbar. Ohne sie könnten lebende Zellen weder Energie speichern, noch Zellmembranen bilden oder sich vermehren. Produziert werden sie von einer zellulären Nanomaschine – der Fettsäure-Synthase (FAS). Forschende um Ashwin Chari und Holger Stark am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften haben nun die Struktur dieser Fettsäurefabrik in bisher unerreichter Auflösung sichtbar gemacht. Bei dieser Detailschärfe lassen sich Enzymreaktionen direkt beobachten. Zudem konnte das Team die Abläufe eines kompletten Produktionszyklus strukturell verfolgen. Die Erkenntnisse liefern neue Ansätze, um Krankheitserreger zu bekämpfen und Fettsäuren nachhaltig ohne Verwendung von Erdöl oder Palmöl herzustellen.
Obwohl der Mensch einen Großteil der benötigten Fettsäuren mit der Nahrung aufnimmt und nicht im Körper selbst produzieren kann, ist die Fettsäuresynthese ein wichtiger Prozess unseres Stoffwechsels. Für Bakterien und Pilze ist dieser Stoffwechselweg sogar unverzichtbar. In Hefepilzen und höheren Organismen katalysieren große Komplexe aus verschiedenen Proteinen – in diesem Fall Enzyme – die Fettsäurebiosynthese, während die bakteriellen Pendants aus einzelnen Proteinen bestehen. Zwar ist die Architektur der Fettsäurefabrik in Organismen sehr unterschiedlich, die an der Fettsäureherstellung beteiligten Enzyme sind sich strukturell aber sehr ähnlich.
Detailblick in Struktur und Chemie der Fettsäurefabrik
Die Max-Planck-Teams um Holger Stark, Leiter der Abteilung Strukturelle Dynamik, und Ashwin Chari, Leiter der Forschungsgruppe Strukturelle Biochemie und Mechanismen haben jetzt erstmals die dreidimensionale Struktur der FAS aus Hefepilzen mit einer Auflösung von 1,9 Ångström sichtbar gemacht. Das ist 19 Millionen Mal kleiner als ein Millimeter. „Die Auflösung von zwei Ångström muss man in der Strukturbiologie knacken, um die Chemie der Zelle zu verstehen“, erläutert der Max-Planck-Direktor. „Bei dieser Auflösung machen wir das Innerste der FAS, einer zellulären Nanomaschine, für uns sichtbar und können katalytische Enzymreaktionen sowie Wechselwirkungen der Proteinmaschinerie mit kleinen chemischen Molekülen beobachten.“
Dieser Erfolg gelang den Göttinger Wissenschaftler*innen, indem sie komplexe Biochemie-Experimente mit höchstauflösender Kryo-Elektronenmikroskopie kombinierten. Für ihre Versuche nutzten sie das weltweit höchst auflösende Kryo-Elektronenmikroskop, mit dem sich einzelne Atome in einem Protein sichtbar machen lassen.
Aber das Gerüst der Maschine zu kennen, reicht noch nicht, um zu verstehen, wie die FAS funktioniert. Genau wie ihr Pendant beim Menschen bildet die FAS in Hefepilzen in sieben einzelnen Reaktionsschritten aus verschiedenen Molekülgruppen Fettsäuren. Jeden dieser Schritte katalysiert ein eigenes Enzym an einer anderen Stelle der Fettsäurefabrik; die Fettsäuren müssen daher innerhalb der FAS von einem Enzym zum nächsten transportiert werden, um die erforderlichen chemischen Reaktionen durchzuführen. Diese Aufgabe übernimmt ein molekulares Shuttle, das sogenannte Acyl-Carrier-Protein (ACP), das durch das verschlungene Labyrinth der FAS-Reaktionskammern von einem Enzym zum nächsten transportiert wird.
Molekulares Shuttle in Aktion
Die Teams um Stark und Chari konnten die FAS jetzt erstmals bei der Arbeit filmen und einen kompletten Fettsäurebiosynthese-Zyklus rekonstruieren. Um das ACP auf seinem Weg durch die Fettsäurefabrik zu verfolgen, brachte die Gruppe zunächst die FAS in einer speziellen Lösung im Reagenzglas zum Arbeiten. Durch extrem schnelles Einfrieren zu verschiedenen Zeitpunkten stoppten die Forschenden die molekulare Maschinerie während unterschiedlicher Arbeitsschritte. Das Kryo-Elektronenmikroskop lieferte ihnen dann mit diesen Proben eine Serie von Aufnahmen während verschiedener Phasen der Fettsäureproduktion. „Es war technisch eine große Herausforderung, der molekularen Maschinerie die genaue Kombination und Menge der Substrate anzubieten, um sie an bestimmten Stellen des Produktionszyklus anzuhalten“, sagt Forschungsgruppenleiter Chari. „Denn nur wenn wir alle Übergänge sehen, können wir einen kompletten Biosynthesezyklus rekonstruieren.“
Im nächsten Schritt erfolgten die computergestützten Berechnungen der dreidimensionalen Strukturen der FAS. Die aufwändige Methode erklärt Kashish Singh, Erstautor der jetzt im Fachmagazin Cell erschienenen Arbeit: „Wir haben ein Bildverarbeitungsverfahren entwickelt, das die FAS in einzelne funktionelle Einheiten zerlegt. Diese Strukturen haben wir dann so sortiert, dass die Reihenfolge der Bilder einen Fettsäurebiosynthese-Zyklus repräsentiert. Mithilfe dieser Schnappschüsse konnten wir verfolgen, wie das kleine ACP-Molekül während der Fettsäureproduktion mit bestimmten Stellen der FAS und anderen Molekülen wechselwirkt.“
Potenzial für Medizin und Biotechnologie
Gerade dieses Molekül sei auch medizinisch relevant, berichtet Meina Neumann-Schaal, Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH: „Das ACP-Molekül in der Hefe-FAS enthält eine strukturelle Region, die dem menschlichen Pendant fehlt.“ Dies mache das Molekül zu einem vielversprechenden Ansatzpunkt, um krankheitserregende Organismen zu hemmen, die ebenfalls die Hefe-ähnliche FAS nutzen. Dazu zählen Hefepilze wie Candida albicans, der Schleimhäute befällt, sowie Mykobakterien wie der Tuberkulose-Erreger. Da multiresistente Tuberkulose-Bakterien noch immer eine Herausforderung für eine erfolgreiche Behandlung darstellen, gibt es einen dringenden Bedarf an neuen Tuberkulose-Hemmern.
Ein weiteres Ergebnis der Forschung könnte in Zukunft für die Biotechnologie genutzt werden. Die Teams von Chari und Stark wiesen nach, dass sich zusätzliche Enzymmodule in die FAS einbauen lassen, um dessen Aktivität zu verändern. „Bei normaler Aktivität liefert die FAS einen Mix aus kurz- und langkettigen Fettsäuren. In Zukunft könnten sich mit einer maßgeschneiderten Fettsäurefabrik beispielsweise Fettsäuren von gewünschter Kettenlänge herstellen lassen“, so Chari. Diese werden unter anderem für Kosmetika, Seifen und Aromastoffe benötigt und sind in pharmazeutischen Wirkstoffen oder Biokraftstoffen enthalten. Die Forschenden sehen bei spezifisch veränderten Fettsäurefabriken auch die Chance, Fettsäuren nachhaltig zu produzieren, statt sie wie bisher beispielsweise aus Erdöl oder Palmöl zu gewinnen. (cr)