Warum manche Nervenzellen mehr zu sagen haben

22. März 2022

Nervenzellen kommunizieren miteinander über chemische Botenstoffe, die in Bläschen – den synaptischen Vesikeln – gespeichert sind. Dabei sind einige dieser Zellen „wortgewandter“ als andere; sie können mehr als eine Art von Botenstoff aussenden. Über welche Mechanismen diese „mehrsprachige“ Kommunikation im Gehirn erfolgt, war jedoch bisher ein Rätsel. Forschende am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen haben nun gezeigt, dass etwa ein Drittel aller Vesikel im Gehirn von Nagetieren verschiedene Botenstoffe speichern und gleichzeitig freisetzen kann.
 

Warme Sonnenstrahlen auf der Haut, Musik in den Ohren oder Schmerzen im Fuß – unsere rund 86 Milliarden Nervenzellen empfangen täglich unzählige Informationen. Damit unser Körper darauf reagieren kann, müssen die Zellen diese Informationen mithilfe von Botenstoffen – Neurotransmitter genannt – richtig weiterleiten. Sobald ein Signal eine Nervenzelle aktiviert, bewegen sich die synaptischen Vesikel zur äußeren Membran der Nervenzellendigung – der Synapse –, verschmelzen mit ihr und setzen die gespeicherten Botenstoffe frei. Diese wandern zur empfangenden Nervenzelle und senden so das Signal weiter. 

„Dass einige Nervenzellen verschiedenen Neurotransmitter gleichzeitig freisetzen können, war bereits bekannt. Aber ob die unterschiedlichen Neurotransmitter aus demselben Pool von Vesikeln freigesetzt werden, war bislang eine kontroverse Debatte“, erklärt Sivakumar Sambandan, Projektgruppenleiter in der Emeritusgruppe Labor für Neurobiologie am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften.

Die Mehrheit der synaptischen Vesikel spricht nur eine Sprache

Um diese Frage zu beantworten, analysierten die Forschenden mithilfe fortschrittlicher Mikroskopie-Techniken Transporterproteine, die sich auf den synaptischen Vesikeln befinden. Diese Moleküle pumpen und speichern Neurotransmitter in die Vesikel. Dabei verarbeiten unterschiedliche Transporter verschiedene Arten von Neurotransmittern. Nicht zuletzt dank der von Nobelpreisträger Stefan Hell entwickelten MINSTED-Mikroskopie konnte das Team einzelne Vesikel, die 2.000-mal kleiner als durch Durchmesser eines menschlichen Haares sind, unter dem Mikroskop beobachten und ihre Transporter identifizieren.

„Wir haben dabei Vesikel entdeckt, die mehr als eine Art von Transporter tragen“, berichtet Sambandan. „Jetzt wissen wir mit Sicherheit, dass es Multi-Neurotransmitter-Vesikel im Gehirn gibt, aber sie sind die Minderheit.“ Ein Drittel aller synaptischen Vesikel in Nagetiergehirnen hatte zwei verschiedene Transporter, die jeweils für eine Art von Neurotransmitter spezifisch waren. Insgesamt identifizierte das Team 27 Vesikeltypen mit unterschiedlichen Kombinationen von Transportern. „Diese Vielfalt war überraschend und wird uns noch einige Zeit beschäftigen“, bemerkt Reinhard Jahn, der das Labor für Neurobiologie leitet.

Mehrsprachigkeit als Vorteil

Unter den Multi-Neurotransmitter-Vesikeln enthielt der größte Teil Glutamat- und Zink-Transporter. „Glutamat ist der wichtigste Neurotransmitter, der an jeder Art von neuronaler Kommunikation beteiligt ist. Die enge Beziehung zwischen Glutamat- und Zinktransportern war für uns eine große Überraschung“, sagt Sambandan. Wie sich herausstellte, hilft Zink dabei, Glutamat zu verpacken und in synaptischen Vesikeln zu speichern. Je mehr Glutamat in den Bläschen gespeichert ist, desto stärker sind die Nervensignale. „Unser Körper ist nicht in der Lage, Zink herzustellen, sondern muss es mit der Nahrung aufnehmen. Unsere Studie ebnet den Weg, um herauszufinden, welche Rolle Zink bei der Nervenfunktion und der mentalen Gesundheit spielt“, so der Projektgruppenleiter. (Sivakumar Sambandan, kr, cr)

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