Juliane Liepe und Stefan Glöggler mit ERC Starting Grants ausgezeichnet

3. September 2020
Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert Stefan Glöggler und Juliane Liepe vom Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie mit je rund 1,5 Millionen Euro. 3272 Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler hatten sich in diesem Jahr für die ERC Starting Grants beworben, 436 von ihnen haben sich im Wettbewerb um die besten Forschungsprojekte durchgesetzt.

Stefan Glöggler forscht auf dem Gebiet der Kernspinresonanz, kurz NMR. Diese Methode hat unsere heutige Welt massiv beeinflusst: Auf ihr basiert die Magnetresonanztomografie (MRT)-Technik, mit der Kliniken und Praxen weltweit jedes Jahr Millionen von Kernspin-Bildern aufnehmen, um Krankheiten zu erkennen und zu erforschen sowie Therapieverläufe zu beurteilen. Die NMR ist auch eine der Standardmethoden, die es erlaubt, Proteine und andere Moleküle in atomarer Auflösung zu untersuchen. Trotz ihrer vielseitigen Anwendung ist die NMR eine eher unempfindliche Technik. Der Chemiker möchte dies durch die Entwicklung neuer Kontrastmittel verbessern, die sich auch für die medizinische Diagnostik nutzen lassen.

Bessere Kontrastmittel für die Diagnostik von Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen entwickeln

Sogenannte Hyperpolarisationsmethoden können NMR-Signale um mehr als das 10.000-fache verstärken. Hyperpolarisierte Moleküle finden unter anderem als Kontrastmittel Anwendung, um Stoffwechselprozesse im Organismus direkt zu beobachten. „Die meisten dieser Kontrastmittel können allerdings nur bis zu drei Minuten verfolgt werden, dann ist das hyperpolarisierte Signal gewissermaßen verbraucht. Wir werden das Fördergeld nutzen, um Kontrastmittel zu entwickeln, die sich länger als zehn Minuten nachverfolgen lassen“, berichtet der Gruppenleiter. Erfolgreiche Vorarbeiten kann Glögglers Team bereits vorweisen: Moleküle herzustellen, die hyperpolarisiert werden können, und die das hyperpolarisierte Signal für mehr als zehn Minuten speichern.

„Zwei Ziele stehen über die Förderperiode von fünf Jahren für uns im Fokus. Zum einen möchten wir physiologische Funktionen direkt im Gewebe untersuchen, zum anderen wollen wir diese verbesserten Kontrastmittel für die Diagnostik von Krebs und neurodegenerativen Krankheiten nutzbar machen“, erklärt der Max-Planck-Forscher. „Ich freue mich sehr, dass die Vorarbeiten unserer Gruppe hierzu nun mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet wurden, es ist eine tolle Anerkennung der Arbeit meines gesamten Teams.“

Nach seinem Chemiestudium promovierte Stefan Glöggler 2013 an der RWTH Aachen im selben Fach. Anschließend forschte er als Postdoktorand an der University of California in Los Angeles (USA), der Université Bordeaux (Frankreich) und an der University of Southampton (Großbritannien). Seit 2017 leitet er die Max-Planck-Forschungsgruppe NMR-Signalverstärkung am MPI für biophysikalische Chemie.

Antigene von infizierten Zellen und Krebszellen vorhersagen

Juliane Liepe, Forschungsgruppenleiterin am MPI für biophysikalische Chemie, hat sich im Wettbewerb mit ihrer Projektidee durchgesetzt, mithilfe von sogenannter Computerimmunologie zu entschlüsseln, wie unser Immunsystem infizierte oder krebsartige Zellen erkennt. Um herauszufinden, wie eine Infektion das Immunsystem herausfordert, führen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur Laborexperimente durch. Ein neuer Forschungszweig, Computerimmunologie genannt, macht sich die enormen Fortschritte in der Bioinformatik und die immer bessere Rechenleistung zunutze, um praktisch im Labor und theoretisch am Rechner durchgeführte Experimente zu kombinieren. Ziel dieser Forschung ist es zu untersuchen, wie unser Immunsystem funktioniert und wie es therapeutisch unterstützt werden könnte, um neue Bedrohungen wie SARS-CoV-2 zu bekämpfen.

Mit Krankheitserregern infizierte Zellen und Krebszellen tragen auf ihrer Oberfläche Antigene. Die sogenannten zytotoxischen T-Lymphozyten – eine der tödlichsten „Waffen“ unseres Immunsystems – erkennen solche Antigene. „Es wäre sehr hilfreich, vorherzusagen, welche Art von Antigenen infizierte und Krebszellen den zytotoxischen T-Zellen auf ihrer Oberfläche präsentieren. Denn dann könnten wir unser Immunsystem durch eine Impfung oder immunmodulierende Therapien schneller dazu ‚erziehen‘, richtig zu reagieren und infizierte oder entartete Zellen zu bekämpfen“, erklärt die Max-Planck-Forscherin.

Liepes Team kombiniert bereits experimentelle und computergestützte Biologie, um Strategien zu entwickeln, mit denen sich unkonventionelle Antigene von Krankheitserregern und Krebszellen identifizieren lassen. Mit dem Fördergeld wird ihre Gruppe ein Rechenmodell konstruieren, das zeigt, wie Zellen mit dem Immunsystem kommunizieren, ganz unabhängig davon, ob sie infiziert sind oder nicht. „Für das Projekt werden wir mit europäischen und US-amerikanischen Forschungsgruppen zusammenarbeiten, um einen immunologischen Prozess in einem virtuellen Bild darzustellen, das wir leicht mit anderen Modellen kombinieren können. Wir hoffen, das Immunsystem so besser verstehen, vorhersagen und modulieren zu können", so die Wissenschaftlerin.

Juliane Liepe studierte Biochemie und Mathematik an der Universität Potsdam, gefolgt von einem Master-Studium der Bioinformatik und theoretischen System-Biologie am Imperial College London (Großbritannien). Nach Abschluss ihrer Doktorarbeit am Imperial College forschte sie dort für mehrere Jahre als Postdoktorandin und David Sainsbury Research Fellow. 2017 wechselte sie an das MPI für biophysikalische Chemie, wo sie seitdem die Forschungsgruppe Quantitative und System-Biologie leitet.

Europäischer Forschungsrat und ERC Starting Grants

Die Europäische Kommission hat den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) 2007 eingerichtet, um herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit innovativen Forschungsprojekten zu fördern. Für den ERC Starting Grant können sich Nachwuchsforscherinnen und -forscher bewerben, die nach ihrer Promotion zwei bis sieben Jahre in der Wissenschaft tätig waren. Im diesjährigen Wettbewerb um die ERC Starting Grants hat der ERC 677 Millionen Euro an Fördergeldern vergeben. (cr)

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