Stefan Kaufmann wird Emeritus-Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

25. Mai 2020

Mit seinem Team hat Stefan H. E. Kaufmann die Entwicklung eines neuen Impfstoffs gegen Tuberkulose vorangetrieben, der auch als Zwischenlösung bei Covid-19 dienen könnte. Der Infektionsbiologe wird in Göttingen seine Forschung mit einer Emeritusgruppe fortsetzen.

Kaufmann erforscht bereits sein ganzes Wissenschaftlerleben die Erreger von Seuchen wie AIDS, SARS, MERS und Tuberkulose. Seit vier Jahrzehnten steht die Tuberkulose-Erkrankung besonders im Fokus des Max-Planck-Forschers. Keine andere Infektionskrankheit tötet mehr Menschen: Im letzten Jahr erkrankten 10 Millionen Menschen weltweit neu an Tuberkulose und rund 1,5 Millionen Menschen starben daran. Sie wird durch Mykobakterien ausgelöst, die überwiegend die Lunge, aber auch jedes andere Organ befallen können. Die Krankheit trifft vor allem die Armen, warnt Kaufmann immer wieder. Er setzt sich auf verschiedenen Ebenen dafür ein, dass Impfstoffe auch ärmsten Ländern zugutekommen und unterstützt Länder in Afrika darin, immunologische und infektionsbiologische Kompetenz aufzubauen.

Bis heute existiert ein einziger Impfstoff gegen Tuberkulose: Bacillus Calmette Guérin (BCG). Dieser Impfstoff enthält abgeschwächte Erreger der Tuberkulose bei Rindern. „Wir wissen heute, dass er allerdings nur Kleinkinder zu schützen vermag und auch da nicht immer“, erklärt der Infektionsbiologe. Seit den 1990er-Jahren arbeitet er mit seinem Team bereits an einem verbesserten Nachfolger. Dazu hat er den abgeschwächten Impfstamm BCG genetisch so verändert, dass Immunzellen die Erreger besser erkennen können.

Dieser neue Impfstoff, VPM1002 genannt, befindet sich derzeit in zwei klinischen Phase-III-Studien, in denen erwachsene Probanden in Indien auf Schutz gegen Tuberkulose getestet werden. Diese Studien sollen im nächsten Jahr abgeschlossen werden und Kaufmann ist hoffnungsvoll: „Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass eine Impfung mit VPM1002 sicherer und wirksamer ist als eine Standardimpfung mit BCG.“

Eine weitere Studie zum Schutz von HIV-exponierten Kleinkindern gegen Tuberkulose in zahlreichen Ländern Subsahara-Afrikas soll dieses Jahr beginnen. VPM1002 zeigt nämlich ein deutlich besseres Sicherheitsprofil als der BCG-Impfstamm, der daher für eine Impfung von HIV-exponierten Neugeborenen nicht empfohlen wird.

Zwischenlösung bei Covid-19

In kontrollierten Studien hat sich gezeigt, dass BCG als sogenannter Bystander-Impfstoff aber auch gegen das neuartige Corona-Virus helfen könnte. „BCG stimuliert die angeborene Immunität und kann vor viralen Atemwegsinfekten schützen“, sagt der Wissenschaftler. In zwei weiteren Phase-III-Studien soll nun untersucht werden, ob VPM1002 ebenfalls vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützen und schwere Krankheitsverläufe verhindern kann. Die erste Studie wird Beschäftigte im Gesundheitswesen mit erhöhtem Infektionsrisiko umfassen. Die zweite erfolgt mit älteren Personen, die besonders gefährdet sind. Die Studien werden an mehreren Krankenhäusern in Deutschland durchgeführt; eine zentrale Klinik wird die Medizinische Hochschule Hannover sein.

Neben den hier vorgestellten Anwendungen verspricht VPM1002 nicht zuletzt Hoffnung bei Krebserkrankungen. So kann es das Wiederauftreten von Blasentumoren bei Patienten, die auf eine Behandlung mit BCG nicht richtig ansprechen, verhindern. 

Vorhersage einer schützenden Immunantwort gegen Tuberkulose

Kaufmann hat in den letzten Jahren unterstützt von der Bill & Melinda Gates-Stiftung ein großes internationales Nord-Süd-Netzwerk initiiert, an dem mehrere Studienzentren in Afrika beteiligt sind. Ziel dieses Netzwerks ist die Charakterisierung sogenannter Biosignaturen, die eine schützende Immunantwort gegen Tuberkulose voraussagen können. Den Forschern ist es bereits gelungen, sogenannte Transkriptom- und Metabolom-Biosignaturen zu identifizieren, die das Risiko einer aktiven Tuberkulose vorhersagen. In den nächsten Jahren will Kaufmann die beiden Bereiche – klinische Impfstudien und Design prognostischer Biosignaturen – verknüpfen. Mithilfe von Transkriptom- und Metabolom-Daten, die in den klinischen Impfstudien erhoben werden, will der Infektionsbiologe Signaturen definieren, die die Schutzwirkung und Sicherheit des Impfstoffs voraussagen.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat die Lizenz für den Impfstoff VPM1002 im Jahr 2004 an das Unternehmen Vakzine Projekt Management (VPM) vergeben. Ab 2012 entwickelte die Firma den Impfstoff zusammen mit dem Serum Institute of India, einem der größten Impfstoffhersteller weltweit, weiter.

Stefan H. E. Kaufmann

studierte Biologie an der Universität in Mainz, promovierte dort 1977 und habilitierte sich vier Jahre später an der Freien Universität Berlin. Zu seinem Fachgebiet, sagt er, sei er durch seinen Mentor Paul Klein gekommen. Dieser habe ihn gelehrt, wie stark Wissenschaft begeistern kann. Von Berlin wechselte er für sechs Jahre an das Freiburger MPI für Immunbiologie. 1987 folgte er dem Ruf an die Universität Ulm. 1993 kehrte er zur Max-Planck-Gesellschaft zurück mit dem Auftrag, das MPI für Infektionsbiologie in Berlin zu gründen. Dort leitete er bis zu seiner Emeritierung 2019 die Abteilung Immunologie und ist weiter als Emeritus-Direktor wissenschaftlich aktiv. Seit 1998 ist er Honorarprofessor an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Für seine Forschung wurde Kaufmann vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Smith Kline Beecham-Wissenschaftspreis, dem Merckle-Forschungspreis und dem Gardner Middlebrook-Preis. Er ist Mitglied der Wissenschaftlichen Akademie Leopoldina, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der European Molecular Biology Organization. In seiner bisherigen Karriere hat er mehr als 900 wissenschaftliche Arbeiten und Artikel veröffentlicht. Schon 2008 warnte er in seinem Buch Wächst die Seuchengefahr? vor der Gefahr einer Pandemie und zeigte bereits damals Lösungsvorschläge zur Früherkennung und raschen Eindämmung von Ausbrüchen neuer Krankheitserreger auf. (cr)

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