Manfred Eigen und die Musik

An Manfred Eigen sei ein großer Pianist verloren gegangen, wurde ihm in den deutschen Medien mehrmals nachgesagt. Tatsächlich hatte der gebürtige Bochumer, der in einem musikalischen Elternhaus aufwuchs, großes Talent.

Bereits im Vorschulalter begann Manfred Eigen, Klavier zu spielen. Doch nach wenigen Jahren intensiven Übens ließ die Lust auf das Musizieren nach. Als das Kind dies seinem Vater, Cellist im Bochumer Symphonie-Orchester, gestand, akzeptierte der den Wunsch seines Sohnes unter zwei Voraussetzungen:  Zum einen solle der Junge das Klavier vollständig aufgeben – Herumklimpern würde der Vater nicht tolerieren. Zum anderen solle sein Sohn die Zeit, die er nicht länger mit dem Musizieren verbrachte, in anderweitige sinnvolle Beschäftigungen investieren.

Zu Beginn hatte der Junge keine Schwierigkeiten, sich an die Auflagen seines Vaters zu halten. Doch seine Leidenschaft für Musik war größer, als er bei der Abmachung mit seinem Vater geahnt hatte. In seinem Elternhaus wurde regelmäßig Kammermusik gespielt, und so erlebte der junge Manfred Eigen große Künstler nicht nur bei Konzert- und Opernbesuchen, sondern auch persönlich aus nächster Nähe bei sich zuhause. Dies verstärkte seine Sehnsucht nach dem Klavier. Heimlich begann er, wieder zu üben. Mit dem Ergebnis überraschte er seinen Vater an dessen Geburtstag: Manfred Eigen schlug vor, gemeinsam Franz Schuberts Arpeggione-Sonate zu spielen – und der Vater war beeindruckt von dem autodidaktischen Können seines Sohns. Fortan ließ er ihn von einem erstklassigen Lehrer unterrichten. Eigen widmete sich wieder intensiv dem Klavierspiel. Mit zwölf Jahren spielte er öffentlich Klavierkonzerte von Johann Christian Bach, Joseph Haydn und Karl Ditters von Dittersdorf.

„In meiner frühen Jugend habe ich immer gedacht, ich würde einmal Musik studieren“, erinnerte sich der Nobelpreisträger für Chemie. Doch der Zweite Weltkrieg nahm ihm die Chance auf eine Karriere als Pianist. Zusammen mit seinen Klassenkameraden wurde Manfred Eigen im Alter von 15 Jahren Luftwaffenhelfer. Während der Kriegsjahre hatte er keine Gelegenheit, Klavier zu spielen. Und so entschied er sich nach dem Krieg für seine zweite große Leidenschaft, die Naturwissenschaften, und studierte Physik und Chemie in Göttingen. Seiner Musik ist er dennoch treu geblieben.

Während seines Studiums fand Eigen zwar keine Zeit für die Musik, doch in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren widmete er dem Klavier wieder mehr Aufmerksamkeit. So nahm er Klavierunterricht bei dem Komponisten und Dirigenten Rudolf Hindemith (dem jüngeren Bruder von Paul Hindemith) und dessen Frau Maria Landes-Hindemith, Professorin an der Hochschule für Musik in München.

Beim Bau seines Hauses in Göttingen konzipierte er einen Raum so, dass er für Konzerte geeignet war. Hier spielte er wiederholt Kammermusik zusammen mit seinen Mitarbeitern. Auch einige Konferenzen und Tagungen bereicherte Eigen mit Musikeinlagen. Darüber hinaus nahm er zwei Klavierkonzerte von Mozart in Begleitung von bekannten Ensembles auf: mit dem New Orchestra of Boston unter David Epstein und mit dem Kammerorchester Basel unter der Leitung von Paul Sacher.

Der Dirigent Paul Sacher war schon seit den 1960er Jahren ein enger Freund von Eigen, als die beiden sich gemeinsam darum bemühten, im Rahmen der Max-Planck-Gesellschaft eine Art Musik-Bauhaus zu gründen. Dieses Vorhaben sollte die Forschung von Wissenschaftlern und Musikern enger zusammenbringen. Führende Vertreter verschiedener Fachrichtungen trafen sich zu regelmäßigen Diskussionen im Hinterzartener Kreis, um die Idee zu konkretisieren. Zu den Beteiligten gehörten viele namhafte Naturwissenschaftler, darunter Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Konrad Lorenz. Daneben wirkten berühmte Persönlichkeiten wie die Philosophen Georg Picht und Theodor Adorno mit. Aus der Musikwelt engagierten sich neben Paul Sacher unter anderem der Geiger Yehudi Menuhin, der Komponist und Dirigent Pierre Boulez und der Flötist Aurèle Nicolet. Trotz des Engagements seiner prominenten Befürworter scheiterte das Projekt.

Während sich abzeichnete, dass das Institut für Musikforschung in Deutschland im Rahmen der Max-Planck-Gesellschaft nicht realisiert würde, eröffnete 1977 im Centre Pompidou in Paris (Frankreich) das Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique, das bis heute besteht. Erster Leiter des Instituts war Pierre Boulez, der zuvor im Gespräch für die Leitung des deutschen Instituts war.

Auch wenn dieses deutsche Großprojekt bedauerlicherweise nie umgesetzt wurde, so war Manfred Eigen mit der Gründung eines anderen Instituts erfolgreich: des MPI für biophysikalische Chemie, das 1972 in Göttingen offiziell eingeweiht wurde.

Alina Dressler, in Anlehnung an „Manfred Eigen – Naturforscher und Musiker“ von Ruthild Winkler-Oswatitsch, erschienen in Ostwalds Klassiker der Exakten Wissenschaften, Band 281.

Zur Redakteursansicht