Laserblitz erzeugt exotische Ordnung in Quantenmaterial

7. Juli 2023

Wasser fließt, Eis ist starr – dieser klare Unterschied zwischen dem flüssigen und festen Zustand von Stoffen ist Teil unserer Alltagserfahrung. Er folgt aus der sehr regelmäßigen Anordnung von Atomen und Molekülen in kristallinen Festkörpern, die beim Schmelzen verloren geht. Weniger eindeutig ist dagegen die Struktur von „flüssigen Kristallen“ – höchst interessanten Zuständen, die Ordnung und Unordnung so miteinander verbinden, dass wichtige Anwendungen wie LCDs (engl. „liquid crystal displays“) möglich sind.

Forschenden vom Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen ist es nun in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gelungen, in einem kristallinen Material einen Zustand zu erzeugen, der sich – ähnlich zur Struktur von Flüssigkristallen – weder als eindeutig flüssig noch als eindeutig kristallin beschreiben lässt.

Der untersuchte Schichtkristall, den das Team von Kai Rossnagel in Kiel gezüchtet hatte, zeichnet sich bei Raumtemperatur durch eine minimale Verzerrung der Kristallstruktur aus. Diese stellt sich aufgrund der besonderen Struktur des Kristalls ein, in der dünne Schichten aus Metall- und Schwefelatomen aufeinandergestapelt und nur schwach miteinander verbunden sind. Beschießt man diese nun mit ultrakurzen Laserblitzen, ändert diese Verzerrung innerhalb einer Billionstel Sekunde ihre Orientierung. Dies erhöht abrupt die elektrische Leitfähigkeit des Materials. Obgleich beide Arten von Verzerrungen über eine geordnete Struktur und die damit verbundenen kristallinen Eigenschaften verfügen, lässt sich während des Übergangs ein stark ungeordneter Zustand beobachten.

„Nach der Anregung des Materials mit Licht müssen die Atome in der Kristallstruktur ihre neuen, leicht veränderten Positionen erst noch finden. Dies wandelt das Material in einen auf außergewöhnliche Art ungeordneten, sogenannten hexatischen Zustand um“, erklärt Till Domröse, Doktorand am MPI und Erstautor der jetzt in der Fachzeitschrift Nature Materials veröffentlichten Studie. „Dieser Zustand wird sonst typischerweise vor allem in Flüssigkristallen beobachtet. In unseren Experimenten ist er jedoch äußerst flüchtig und nach den Bruchteilen einer Nanosekunde bereits wieder verschwunden.“ Ihn sichtbar zu machen stellte hohe Anforderungen an die verwandte Messtechnik. So benötigt man einerseits eine sehr schnelle zeitliche Auflösung, um einen hinreichend kurzen Schnappschuss aufzunehmen. Andererseits sind die strukturellen Änderungen des Materials so subtil, dass sie nur mit einer sehr hohen Empfindlichkeit auf die atomaren Positionen sichtbar werden. Elektronenmikroskope bieten grundsätzlich die nötige räumliche Auflösung, sind aber typischerweise nicht schnell genug.

In den letzten Jahren hat das Göttinger Team um Max-Planck-Direktor Claus Ropers diese Lücke geschlossen, indem sie ein „ultraschnelles“ Elektronenmikroskop entwickelten, das in der Lage ist, selbst unvorstellbar rasant ablaufende Vorgänge im Nanokosmos abzubilden. „Dieses Mikroskop kam auch bei diesen Experimenten zum Einsatz und ermöglichte es uns, die ungewöhnlich geordnete Phase und ihre zeitliche Entwicklung in einer Bildserie festzuhalten“, erläutert Ropers. „Gleichzeitig haben wir einen neuen hochauflösenden Beugungs-Modus entwickelt, der für die Untersuchung vieler anderer funktioneller Nanostrukturen essenziell sein wird.“

Das Projekt wurde durchgeführt mit Unterstützung durch den SFB 1073, „Atomic scale control of energy conversion“.

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