Wie Ignoranz zu genaueren Ergebnissen führt
Wenn Wissenschaftler*innen etwas messen, dann sind die Ergebnisse meist umso besser, je genauer gemessen wird. Dass eine zu genaue Messung jedoch von Nachteil sein kann, zeigten jetzt Forschende aus Göttingen. Bewusst einen Teil der Messgenauigkeit zu ignorieren, kann entgegen der gängigen Intuition zu präziseren Ergebnissen führen.
Aljaz Godec und sein Team interessieren sich für die mathematische Bestimmung physikalischer, insbesondere thermodynamischer Eigenschaften aus Pfaden von einzelnen Teilchen oder Prozessen in einer Zelle. Solche Berechnungen sind sehr komplex, da die Bewegung der Teilchen zufälligen Schwankungen unterliegen und damit einzelne Pfade unterschiedliche Ergebnisse liefern. Um dies theoretisch zu beschreiben, untersuchen viele Forschende lokale Ströme, zum Beispiel in Zellen, die aus dem zeitlichen Mittelwert einzelner Pfade abgeleitet werden. Basierend auf bisherigen Forschungsarbeiten funktioniert das besonders gut, wenn man den zu untersuchenden Raum in ein Raster einteilt. Umso kleiner und feiner das Raster gewählt wird, umso genauer können die Pfade des Teilchens und somit die lokalen Ströme bestimmt werden, doch umso aufwendiger wird die Berechnung. Was logisch klingt, ist allerdings nicht die ganze Wahrheit.
Cai Dieball, Doktorand in der Forschungsgruppe Mathematische Biophysik, und Gruppenleiter Aljaz Godec zeigten in ihrer Tandem-Veröffentlichung in Physical Review Letters und Physical Review Research wie abgeleitete Ergebnisse genauer werden können, wenn man bei der Bestimmung vom zeitlichen Mittelwert der Pfade nur wenige, etwas größere Rasterpunkte statt eines ganz feinen Rasters verwendet. Und dass, obwohl man sowohl einen Teil der Messgenauigkeit als auch den Rest des betrachteten Raums ignoriert. Es ließ sich sogar bestimmen, dass es für jedes Problem eine optimale Größe des Rasterpunktes gibt, bei dem die abgeleiteten Ergebnisse am genausten werden. Das ist alles andere als intuitiv, denn ein zu genaues Raster, und daher eine zu genaue Messung, liefert weniger genaue Ergebnisse. Im Extremfall einer beliebig genauen Messung kommt es sogar zu Größen, die mathematisch keinen Sinn ergeben. Der Grund für diesen kontraintuitiven Effekt ist, dass bei kleiner werdenden Rasterpunkten statistische Erwartungswerte der lokalen Ströme von immer mehr untypischen Ereignissen dominiert werden, und statistische Fluktuationen dabei immer größer werden.
Neben der systematischen mathematischen Beschreibung und theoretischen Rechnungen, die die Entdeckung bestätigen, zeigen auch Experimente in lebenden Zellen, dass der Ansatz von Godec und seinem Team funktioniert. Diese neuen Grundlagen könnte Forschende zukünftig bei Messungen mit abstrakten Dynamiken in einem hoch-dimensionalen Potenzial nutzen und beispielsweise zur Untersuchung von chemischen Reaktionen oder Protein- bzw. DNA-Faltungen verwenden.