Bronzeskulpturen und Papierschnitte
Haidelis Jacob-Kalähne, Mareile Schaumburg

25. April bis 20. Mai 2002

Die Bildhauerin Mareile Schaumburg wurde 1998 für ihr Werk mit der August-Macke-Medaille der Stadt Bonn ausgezeichnet. Sie hat bereits früh mit Bronzeskulpturen begonnen. Waren es zunächst weitgehend realistische Figuren, so entstanden später mehr abstrahierende Bronzen, wie sie unter dem Titel Eingerollte Larve, Geöffnete Kapsel oder Erdgeist in der Ausstellung zu sehen sind. Diese Figuren geben sich auf Grund ihrer motivischen Naturnähe auf den ersten Blick als beruhigte, beschwichtigte Formen aus, mehr nach innen als nach außen gewandt. Die gebändigte Kraft und die sich unaufhaltsam öffnende, expandierende Gegenbewegung dieser Formen wird dem Betrachter und Betaster erst allmählich zugänglich. "Meine Formen sollen zum Greifen und Darüberstreiche(l)n animieren," ermuntert Mareile Schaumburg den Besucher. "Unterstützt von der glatten Oberfläche des Metalls kann der Betaster jede Formveränderung erspüren und nachvollziehen." Dies gilt nicht nur für die kleinformatigen, von Mareile Schaumburg gerne als "Handschmeichler" bezeichneten Exponate, wie das Oval oder die Bewegte Form, sondern gerade auch für die strenger konzipierten, geometrischen Skulpturen wie den Tückenfänger.

Es empfiehlt sich, bei den Skulpturen auf die Dimensionen zu achten. Bei mehreren Stücken begegnet man einer eigenartigen und hintersinnigen Dimensionsverschiebung aus dem Bereich des Unscheinbaren - dem Bereich von Kern, Keim, Kapsel oder Floh - in den Bereich menschlicher Proportionen. Da es sich hierbei jedoch nicht nur um eine rein quantitative Vergrößerung handelt, entwickeln sich die dargestellten Naturdinge zu neuen Formen, die einerseits vertraut, aber andererseits doch fremdartig erscheinen. Die Skulpturen unterstehen somit dem Prinzip Irritation, das die Formensprache von Mareile Schaumburg um eine interessante Ausdrucksnuance bereichert.

Den Bronzeskulpturen werden in der Ausstellung Papierschnitte von Haidelis Jacob-Kalähne aus Syke gegenübergestellt. Frau Jacob-Kalähne hat die alte Tradition des Scherenschnitts auf erstaunliche und faszinierende Weise neu erschlossen. Sie hat ihr nicht nur eine neue Gestalt verliehen, sondern sie auch mit neuen Inhalten gefüllt. Mit dekorativem Kunsthandwerk, mit schnell gefertigten Schattenbildern oder Silhouetten haben ihre großformatigen, ausdifferenzierten Werke nichts gemeinsam.

Das von Haidelis Jacob-Kalähne gewählte große Format ermöglicht eine starke Vergrößerung ihrer bevorzugten Thematik - der Pflanzenwelt - und schafft dadurch eine erste Verfremdung des botanischen Vorbilds und macht auf die Schönheit und Harmonie der pflanzlichen Schöpfung aufmerksam, die im kleinen Vorbild oft unbeachtet bleibt. Ihre Pflanzendarstellungen sind dabei keine botanisch genauen lllustrationen für ein Lehrbuch, obwohl der ausgebildeten Biologin die Pflanzen in ihrem äußeren Erscheinungsbild und im Blick durch das Mikroskop bestens vertraut sind. Arbeiten mit großen schwarzen Flächen, aus denen vegetabile Gebilde explosionsartig hervortreten, lassen Entstehungs- und Wachstumsprozesse sichtbar werden oder machen zum Beispiel die spezifischen Eigenarten der Fortpflanzung einer Pflanze deutlich. Als Biologin kennt Haidelis Jacob-Kalähne neben der natürlichen Vergänglichkeit auch die Gefährdung der Artenvielfalt und des Formenreichtums durch Störungen im ökologischen Gleichgewicht. Es gibt Scherenschnitte mit Titeln, die die Vernichtung von Arten in weit zurückliegenden erdgeschichtlichen Zeiträumen veranschaulichen, zum Beispiel Lebensspuren, mit der Darstellung eines Millionen Jahre alten Fossils vor verbranntem Urwald in Verbindung mit einem struktural gleichen menschlichen Fingerabdruck aus der Gegenwart.

Aus ihren Pflanzendarstellungen lässt Haidelis Jacob-Kalähne Bildräume wachsen, die mehrere Inhaltsebenen miteinander verbinden. Das Formenspiel der Pflanzen illustriert Spielarten des menschlichen Miteinanders oder Gegeneinanders. Menschliche Figuren oder Köpfe werden in die vegetabilen Gebilde hineinkomponiert und scheinen dadurch das Innenleben der Dargestellten nach außen zu kehren. Biologische Vorgänge und Absonderlichkeiten werden zu Synonymen für positives und negatives menschliches Verhalten und Empfindungen. Den "Dialog mit der Natur", den Haidelis Jacob-Kalähne zunächst als Biologin führt und der mit Beobachtung und Naturerkenntnis beginnt, setzt die bildende Künstlerin somit im Sinne von Selbsterkenntnis und Verinnerlichung fort und verleiht ihr den bildnerischen Ausdruck.

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