Schärferer Blick in die Proteinfabrik als je zuvor

23. April 2015
Forscher um Holger Stark am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie haben gemeinsam mit Göttinger Kollegen die Proteinfabrik der Zelle – das Ribosom – schärfer sichtbar gemacht als je zuvor. Mit einem neuen Auflösungsrekord für elektronenmikroskopische Strukturen von unter drei Ångström konnten die Wissenschaftler erstmals die „Chemie“ im Ribosom direkt beobachten. Ein Ångström entspricht etwa dem Durchmesser eines Atoms. Ihre Struktur macht wichtige chemische Veränderungen im Inneren der Proteinfabrik sichtbar, mit deren Hilfe sich Bakterien erfolgreich gegen Antibiotika wehren. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler liefern einen wichtigen Beitrag, um zukünftig neue Klassen von Antibiotika erforschen und entwickeln zu können. (Nature, 23. April 2015)  

Ribosomen sind molekulare Hochleistungsmaschinen. Nach den genetisch vorgeschriebenen Bauplänen produzieren sie Proteine, die universellen Werkzeuge aller Zellen. Auf der molekularen Skala des Lebens sind Ribosomen riesig: Sie bestehen aus 50 verschiedenen Proteinen und mehreren Ribonukleinsäure-Molekülen, den sogenannten ribosomalen RNAs. Mit einem Durchmesser von 20 bis 30 Nanometern sind Ribosomen damit etwa so groß wie die kleinsten Viren. Für die Aufklärung der ersten Ribosomenstrukturen mithilfe der Röntgen-Kristallografie wurden die Forscher Venkatraman Ramakrishnan, Thomas Steitz und Ada Yonath im Jahr 2009 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Ribosomen im atomaren Detail sichtbar zu machen, bleibt aber auch heute für Strukturbiologen eine große Herausforderung.

Die Göttinger Max-Planck-Forscher Holger Stark und Niels Fischer haben jetzt gemeinsam mit ihrer Institutskollegin Marina Rodnina sowie Ralf Ficner von der Universität Göttingen einen neuen Auflösungsrekord für die elektronenmikroskopische Struktur des Ribosoms aufgestellt. Ihre mittels der Kryo-Elektronenmikroskopie abgebildete Struktur der Proteinfabrik aus dem Bakterium Escherichia coli bricht zum ersten Mal die Auflösungsgrenze von drei Ångström. 

Für diesen Durchbruch mussten Stark und Fischer die Kryo-Elektronenmikroskopie und die computergestützte Bildgebung methodisch deutlich weiterentwickeln. „Neben dem methodischen Fortschritt waren auch die Anforderungen an die Reinheit der Proben sehr hoch. Die Ribosomen mussten äußerst sauber präpariert werden“, erklärt Stark. „Wie bei einem Legobaukasten haben wir die Komplexe der Ribosomen mit mehreren Bindungspartnern zunächst aus einzelnen Bausteinen zusammengesetzt. Anschließend wurden sie für die Kryo-Elektronenmikroskopie schockgefroren, um den ursprünglichen Zustand zu erhalten. Hier hat sich unsere erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Team um Marina Rodnina am MPI für biophysikalische Chemie wieder sehr gut bewährt“, betont der Strukturbiologe. 

Kryo-Elektronenmikroskop mit „Brille“

Um die Ribosomen möglichst ohne Informationsverlust abzubilden, setzten die Forscher das weltweit erste Kryo-Elektronenmikroskop mit einer speziellen Korrekturlinse ein. „Wie eine fein abgestimmte Brille reduziert diese Korrekturlinse die wichtigsten Abbildungsfehler und ermöglicht so schärfere Bilder als je zuvor“, erklärt Niels Fischer, Nachwuchsforscher in Starks Arbeitsgruppe. Für die neue höchstaufgelöste Ribosomenstruktur hat er mit dem Mikroskop mehr als 1,4 Millionen zweidimensionale Bilder aufgenommen. „Die größte Herausforderung für uns war, dass die beweglichen Teile der Proteinfabrik wie bei einer echten Maschine ständig in Bewegung sind“, berichtet Fischer. Diese Bewegungen führen zu „unscharfen“ Bereichen in den Ribosomen-strukturen, wie man sie auch von der Fotografie kennt. Um diese Unschärfen zu entfernen, trennte Fischer die Bilder daher mithilfe eines Grafikkarten-Supercomputers nach unterschiedlichen Bewegungszuständen des Ribosoms. Anschließend berechnete er die dreidimensionalen Strukturen dieser Ribosomen-Gruppen. Aber erst die Verwendung von Software, die üblicherweise in der Kristallografie genutzt wird, lieferte den Göttinger Wissenschaftlern schließlich die hochaufgelösten atomaren Strukturmodelle.

Auflösungsweltrekord für elektronenmikroskopische Struktur

 „Mit diesem Ansatz haben wir im Inneren des E. coli-Ribosoms zum ersten Mal eine lokale Auflösung von bis zu 2,65 Ångström erreicht“, so Stark. „Dank dieser Detailschärfe können wir nun vor allem in Bereichen, die für die Funktion des Ribosoms wichtig sind, sehr viel mehr Einzelheiten erkennen. Wir sind damit in einen Auflösungsbereich vorgestoßen, der es uns erlaubt, die ‚Chemie’ der Proteinfabrik zu sehen.“ So konnten die Wissenschaftler beispielsweise erstmals wichtige chemische Veränderungen der ribosomalen RNA in der Struktur sichtbar machen. „Diese Veränderungen waren bisher in keiner Röntgenstruktur zu sehen“, erzählt Piotr Neumann, der in der Abteilung für Molekulare Strukturbiologie von Ralf Ficner an der Universität Göttingen forscht. Durch diese tiefen Einsichten in die Proteinfabrik lasse sich nun sehr viel besser verstehen, wie das Ribosom auf molekularer Ebene arbeite.

Die Erkenntnisse der Strukturbiologen sind auch für die Medizin von großer Bedeutung: Die erstmals sichtbar gemachten Veränderungen an der ribosomalen RNA beeinflussen die Wirksamkeit vieler Antibiotika. Solche Antibiotika hemmen ganz spezifisch nur die bakterielle Proteinfabrik, indem sie diese an bestimmten Stellen binden. Sind diese Bindungsstellen chemisch verändert, bleibt das Antibiotikum wirkungslos – das Bakterium ist resistent geworden. Dass bakterielle Krankheitserreger zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, stellt bereits heute ein großes Problem dar. Wissenschaftler arbeiten daher mit Hochdruck daran, neue Wirkstoffe zu entwickeln, gegen die Bakterien weniger leicht resistent werden. Die neuen detaillierten Informationen von der Struktur des bakteriellen Ribosoms bieten dafür einen wichtigen neuen Ansatzpunkt. (cr/nf)

Cryo-EM structure of the E. Coli ribosome-EF-Tu complex at <3 Å resolution.

The movie shows examples of the cryo-EM density (magenta mesh, rendered at 2.9 Å resolution and 2.5σ) for post-transcriptional modifications of rRNA and tRNA, ribosomal proteins, Mg2+ ions and water molecules.  PTC, peptidyl-transferase centre; DC, decoding centre; ms2i6A, 2-methylthio-N6-isopentenyladenosine.”

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