Werner-von-Siemens-Ring geht an Jens Frahm

28. Januar 2020

Die Zahl ist gigantisch: Jährlich werden weltweit 100 Millionen Untersuchungen mit der Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt – und jeder einzelne Tomograf nutzt die Technik, die Jens Frahm mit seiner Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie entwickelt hat. Für seine Leistungen erhält der Physiker nun den Werner-von-Siemens-Ring – einen der wichtigsten deutschen Technikpreise. In den Anfangstagen der MRT in den 1980er-Jahren dauerte eine einzige MRT-Schichtaufnahme noch Minuten. Frahms FLASH-Technologie machte Sekunden daraus – eine 100-fache Beschleunigung. Erst sie ermöglichte die Anwendung in der klinischen Diagnostik. Frahms neueste Entwicklung, FLASH 2, macht die MRT noch einmal schneller und ermöglicht Videos vom schlagenden Herzen oder anderen bewegten Körperorganen – in Echtzeit mit bis zu 100 Bildern pro Sekunde.

Hätte Alfred Nobel einige Jahrzehnte später gelebt, dann gäbe es heute sicherlich einen Nobelpreis für bahnbrechende technische Entwicklungen. Das Vermächtnis eines anderen Visionärs füllte diese Lücke: Werner von Siemens war zeitlebens davon überzeugt, dass Wissenschaft und Technik untrennbar miteinander verbunden sind und Großes ermöglichen. Seit 1916 zeichnet die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring deshalb alle zwei bis drei Jahre Menschen aus, die die Technikgeschichte entscheidend mitgeprägt haben. Der Preis in Form eines jeweils individuell gefertigten Ringes geht in diesem Jahr an den Max-Planck-Forscher Jens Frahm aus Göttingen. „Wir würdigen damit die enorme Leistung, die Jens Frahm für die medizinische Diagnostik erbracht hat“, erläutert Joachim Ullrich, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring. 

Magnetresonanztomografie auf dem Siegeszug

Frahm ist Physiker und spezialisierte sich früh auf biologische und medizinische Anwendungen. Bereits 1982 leitet er eine Arbeitsgruppe am MPI für biophysikalische Chemie zum Thema MRT. Die MRT war 1973 von Paul Lauterbur erfunden worden, hatte aber einen entscheidenden Nachteil: Sie war zu langsam. Daher setzte sich die vielversprechende Idee, damit ohne schädliche Röntgenstrahlen Bilder aus dem Inneren des Körpers aufzunehmen, zunächst nicht durch. Die Technik beruht darauf, dass ein starkes Magnetfeld die Wasserstoffatomkerne des menschlichen Körpers beeinflusst. Sie verhalten sich in einem starken Magnetfeld der MRT-Röhre wie kleine Magnete, die nach Anregung mit einem kurzen Radiowellenimpuls selber ein UkW-Signal ausstrahlen. Das kann man messen. So lassen sich Bilder von weichen Körpergeweben errechnen. Aber für jede Schicht musste man anfangs minutenlang messen.

Frahm kam auf die entscheidende Idee, für jede der sehr vielen Einzelmessungen eines MRT-Bildes immer nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick, dem FLASH-Verfahren, konnte er die Pausen zur Signalerholung vollständig eliminieren und die Messzeit radikal um das Hundertfache beschleunigen. Das war der Durchbruch für die MRT. Heute wird die Technik genutzt, um verschiedenste Fragen zu beantworten: Gibt es bei einer Person Auffälligkeiten im Hirngewebe? Wurden bei einem Unfallopfer innere Organe verletzt? Liegt ein Bandscheibenvorfall vor? Hat das Herz Schaden genommen? 

Als die MRT-Bilder laufen lernten

Im Jahr 2010 machten Frahm und sein Team schließlich den Weg frei für Videoaufnahmen mit der MRT, indem sie die Methode noch einmal deutlich beschleunigten. FLASH 2, die Echtzeit-MRT, beruht auf einem neuen mathematischen Verfahren für die Bildrekonstruktion, das eine Berechnung aus nur noch sehr wenigen Einzelmessungen ermöglicht, die entsprechend weniger Messzeit benötigen. Damit sind Filmaufnahmen des atmenden Brustkorbs, des schlagenden Herzens auf der Suche nach Herzrhythmusstörungen, von Gelenken in Aktion oder komplexer Abläufe wie Sprechen oder Schlucken möglich – mit 30, 50 oder gar 100 Bildern pro Sekunde.

Echtzeit-MRT-Video: Sprechen

Dieses Video zeigt im Echtzeit-MRT, wie sich Lippen, Zunge, Gaumensegel und Kehlkopf beim Sprechen bewegen.

Die neue Technik könnte in Zukunft auch genutzt werden, um minimalinvasive Eingriffe zu begleiten, die bisher unter Röntgenkontrolle durchgeführt werden. Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet.

Über Jens Frahm

Jens Frahm studierte Physik an der Universität Göttingen und forschte für seine Doktorarbeit in physikalischer Chemie am MPI für biophysikalische Chemie. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Institut und leitet dort seit 1982 die selbstständige Forschungsgruppe Biomedizinische NMR. Er habilitierte 1994 an der Universität Göttingen und wurde im Jahr 1997 zum außerplanmäßigen Professor an die dortige Fakultät für Chemie berufen. Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten gelistet. Für seine Forschungsarbeiten wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European MRI Award der Deutschen Röntgengesellschaft (1989), dem Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), dem Karl Heinz Beckurts-Preis (1993), dem Forschungspreis der Sobek-Stiftung (2005), dem Stifterverbandspreis (2013), der Jacob Henle-Medaille (2016) und dem Europäischen Erfinderpreis (2018). 2016 wurde Frahm in die Hall of Fame der deutschen Wissenschaft gewählt.

Über die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring

Die Stiftung Werner-von-Siemens-Ring setzt sich dafür ein, eine lebenswerte Welt zu gestalten und zu verwirklichen. Als eigenständige, gemeinnützige Stiftung privaten Rechts mit Sitz in Berlin wurde sie anlässlich des 100. Geburtstages von Werner von Siemens am 13. Dezember 1916 gegründet. Seit ihrer Gründung verleiht sie den Werner-von-Siemens-Ring an Personen, „die sich, wie Siemens, hervorragende und anerkannte Verdienste um die Förderung der Technik in Verbindung mit der Wissenschaft erworben haben“. Der Werner-von-Siemens-Ring – Ehrenring für Verdienste um Naturwissenschaft und Technik gilt als eine der höchsten deutschen Auszeichnungen auf diesem Gebiet. Die beeindruckende Liste der Ringträger mit Namen wie Carl von Linde, Carl von Bosch, Konrad Zuse, Artur Fischer und vielen weiteren ist mittlerweile ein Abriss der Technikentwicklung in Deutschland.

Im Stiftungsrat engagieren sich neben den Ringträgern und den technischen Fachgesellschaften die Präsidenten und Vorsitzenden der PTB, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des Deutschen Verbands Technisch-Wissenschaftlicher Vereine und des VDI/VDE. Stiftungsratsvorsitzender ist der Präsident der PTB, die 1887 als Physikalisch-Technische Reichsanstalt von Werner von Siemens gegründet worden war. 

"Wir haben ein zentrales Problem der Magnetresonanztomografie gelöst", sagt Jens Frahm. Im Interview mit PTB-Präsident Joachim Ullrich erklärt der Preisträger seine Durchbrüche mit der FLASH-Technologie.

Nach einer Pressemitteilung der PTB/es/cr

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