Dirk Görlich erhält Louis-Jeantet-Preis für Medizin 2024
Die Louis-Jeantet-Stiftung ehrt den Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften für die Entdeckung einer besonderen Form biologischer Materie, die als hochselektive Barriere zentrale Transportwege in der Zelle maßgeblich kontrolliert. Er habe bahnbrechende Beiträge zu unserem Verständnis der Prozesse geleistet, durch die Makromoleküle in den Zellkern hinein und aus ihm heraus transportiert werden, so die Stiftung. Die renommierte Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von 500.000 Schweizer Franken (rund 537.000 Euro) dotiert.
Görlich erforscht, wie Zellen das logistische Problem lösen, zehntausende verschiedener Proteine korrekt entweder in den Zellkern hinein oder aus diesem heraus ins Zytoplasma zu transportieren und gleichzeitig unerwünschten Molekülen den Zutritt zu verwehren. Die Verbindung zwischen dem Zellkern und dem Zytoplasma schafft eine der effizientesten Proteintransportmaschinen der Natur, der sogenannte Kernporenkomplex.
Dieser weist eine rätselhafte funktionelle Besonderheit auf: Er ist für die meisten Makromoleküle sehr undurchlässig. Eine bestimmte Klasse von Proteinen wird jedoch in den Kanal des Kernporenkomplexes regelrecht hineingesogen und auf der anderen Seite wieder freigesetzt. Das kann sehr schnell geschehen – bis zu tausend Mal pro Pore und Sekunde. Wie Görlichs Team maßgeblich mit aufdeckte, handelt es sich dabei um Transporter, sogenannte Importine und Exportine, die makromolekulare Fracht zwischen dem Zellkern und Zytoplasma befördern.
„Intelligente“ Barriere am Zellkern
Ihre Funktion als hochleistungsfähige Transportmaschinen erfüllen Kernporenkomplexe dank eines besonderen Materials: Görlich und sein Team haben entdeckt, dass sich die eigentlich ungeordneten Bereiche bestimmter Kernporenproteine – sogenannte FG-Domänen – zusammenlagern („kondensieren“) und ein Gelee bilden, die FG-Phase. Diese wirkt als „intelligente“ Barriere, die es den winzigen Kernporenkomplexen in der Hülle des Zellkerns ermöglicht, Makromoleküle zu sortieren. Während die FG-Phase ein gutes „Lösungsmittel“ und Transportmedium für molekulare Transporter samt Fracht ist, stößt sie gleichzeitig unerwünschte Makromoleküle ab. Wo das Transporter-Protein an eine FG-Domäne bindet, lösen sich die FG-Verbindungen; der Transporter kann samt Fracht durch das Gelee gleiten. Noch während der Passage schließen sich die Maschen wieder.
„Die FG-Phase schien zunächst eine exotische Form biologischer Materie zu sein. Doch schon bald zeigte sich, dass sie ein ganz allgemeines Prinzip in lebenden Zellen repräsentiert. Sie war nur ein erstes Beispiel für sogenannte zelluläre Kondensate, die sich auf eine ähnliche Art und Weise bilden und als ‚Mini-Labore‘ biochemische Reaktionen koordinieren und regulieren. Der Louis-Jeantet-Preis ist eine wunderbare Auszeichnung für unser gesamtes Team nach vielen Jahren gemeinsamer Forschung“, so der Preisträger.
Neues Forschungsfeld eröffnet
„Der Transport von Molekülen zwischen Zytoplasma und Zellkern ist von fundamentaler Bedeutung für Organismen von der Hefe bis zum Menschen und beeinflusst nahezu alle Aspekte von Gesundheit und Krankheit“, sagt der Geschäftsführende Direktor des MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Holger Stark. Dirk Görlich habe als erster vorgeschlagen und experimentell belegt, wie molekulare Transporter und die FG-Phase gemeinsam eine hoch-effiziente „Pumpe“ für Makromoleküle bilden. „Mit der Entdeckung der FG-Phase hat er ein völlig neues Forschungsfeld eröffnet. Wir freuen uns mit unserem Kollegen Dirk Görlich sehr über diese verdiente Anerkennung.“
Dirk Görlich ist nach Bert Sakmann, Peter Gruss, Herbert Jäckle und Patrick Cramer der fünfte Wissenschaftler am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, der mit diesem Preis geehrt wird. (cr)
Über den Preisträger
Dirk Görlich studierte Biochemie in Halle und fertigte seine Promotionsarbeit am Max Delbrück Center für Molekulare Medizin in Berlin an. Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt am Wellcome / CRC Institute (heute: Gurdon Institute) in Cambridge (Vereinigtes Königreich) wurde er 1996 als Forschungsgruppenleiter und 2001 als Professor für Molekularbiologie an das Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg berufen. Seit 2007 leitet er die Abteilung Zelluläre Logistik am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (bis 31.12.2021: MPI für biophysikalische Chemie). Dirk Görlich erhielt zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis, die EMBO Gold Medal, den Alfried-Krupp-Förderpreis, den WLA Prize 2022 sowie den Tierschutzforschungspreis des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Er ist Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Über den Louis-Jeantet-Preis
Die Louis-Jeantet-Preise wurden 1986 erstmals verliehen. Seitdem werden jedes Jahr bis zu drei Preise an Forschende vergeben, die auf dem Gebiet der Biomedizin und in einem der Mitgliedsstaaten des Europarats forschen. Die Auszeichnung würdigt abgeschlossene Arbeiten und soll zukünftige innovative Forschungsprojekte der Preisträger*innen unterstützen.