Millionenförderung für Hannelore Ehrenreich und Claus Ropers

26. April 2022

Die Forschenden am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für Multidisziplinäre Naturwissenschaften erhalten für die nächsten fünf Jahre jeweils knapp 2,5 Millionen Euro an Fördermitteln vom Europäischen Forschungsrat (ERC). 1.735 Wissenschaftler*innen hatten sich in diesem Jahr für die hochkompetitiven ERC Advanced Grants beworben, nur 253 konnten sich mit ihren Forschungsprojekten im harten Wettbewerb durchsetzen.

Mit EPO gegen Erkrankungen des Gehirns

Im Leistungssport ist Erythropoietin (EPO) als Dopingmittel berüchtigt, doch der Wachstumsfaktor fördert nicht nur, dass sich vermehrt rote Blutkörperchen bilden. Die Medizinerin und Neurowissenschaftlerin Hannelore Ehrenreich geht davon aus, dass EPO insbesondere auch Gehirnfunktionen verbessert. „Wenn wir eine geistig herausfordernde Aufgabe meistern, scheint dies einen leichten Sauerstoffmangel in unserem Gehirn auszulösen. Diese physiologische Sauerstoffarmut regt Nervenzellen dazu an, EPO freizusetzen. Man könnte es als Doping für das Gehirn bezeichnen“, erklärt Ehrenreich, Leiterin der Klinischen Neurowissenschaften am Institut.

Mit ihrem Team möchte sie herausfinden, wie EPO das Wachstum der Nervenzellen fördern und verhindern kann, dass sie ihre lebenswichtigen Funktionen verlieren. Dazu wird Ehrenreichs Team zunächst am Modell der Maus weiter erforschen, inwieweit sich EPO auch als Therapie für bestimmte Formen von geistiger Behinderung, Autismus oder Demenz eignet. „Um die Ergebnisse möglichst rasch auf den Menschen zu übertragen, installieren wir derzeit in unserer Forschungsambulanz eine große Höhentrainingskammer. Dort können wir Proband*innen unter kontrollierten Bedingungen einer leichten Sauerstoffarmut aussetzen“, berichtet die Medizinerin. Gelänge es den Forschenden, das EPO-System im Gehirn noch besser zu entschlüsseln, eröffnete dies neue Wege, um eines Tages bisher unbehandelbare, kognitive Funktionsstörungen zu behandeln. „Der Advanced Grant bedeutet für unser Team der Klinischen Neurowissenschaften, dass wir für die nächsten fünf bis sechs Jahre reichlich finanzielle Mittel haben werden, unsere Forschung auf diesem Gebiet intensiv voranzutreiben. Wir alle stehen seit Langem mit großer Begeisterung hinter dem Thema und sind überzeugt, dass unsere Erkenntnisse eines Tages Patient*innen zugutekommen werden“, sagt Ehrenreich.

Hannelore Ehrenreich studierte Human- und Veterinärmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Parallel zu ihrer klinischen Ausbildung in Neurologie und Psychiatrie an der LMU München verbrachte sie wissenschaftliche Aufenthalte in England und auf den Philippinen. Als Postdoktorandin arbeitete sie drei Jahre lang bei Anthony S. Fauci im Laboratory of Immunoregulation, National Institute of Allergy and Infectious Diseases, Bethesda (USA). Ihre Facharztausbildung an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) schloss sie 1995 ab. Seitdem leitet sie die Klinischen Neurowissenschaften am City-Campus des Göttinger MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und dessen Vorgängerinstitut, dem MPI für Experimentelle Medizin. Sie ist Professorin für Neurologie und Psychiatrie an der UMG sowie Professorin an der Fakultät für Biologie und Psychologie der Universität Göttingen. Von 2000 bis 2002 war sie zudem als Vizepräsidentin der Universität Göttingen tätig. Für ihre Arbeiten wurde Ehrenreich unter anderem mit dem Wilhelm Feuerlein Forschungspreis und dem Jean-Delay-Preis ausgezeichnet. Seit 2016 ist sie Mitglied der Sektion Neurowissenschaften der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.

 

Stop-Motion-Filme atomarer und molekularer Prozesse an Oberflächen

Die Oberfläche eines Materials beeinflusst maßgeblich seine chemischen und physikalischen Eigenschaften. Sie bestimmt beispielsweise, ob ein Stoff katalytische Fähigkeiten besitzt oder mechanische Reibung reduziert. 

Max-Planck-Direktor Claus Ropers erforscht mit seiner Abteilung Ultraschnelle Dynamik die fundamentalen Mechanismen, die das Verhalten von Festkörpern bestimmen. Um zu verstehen, wie atomaren Bausteine eines Materials miteinander wechselwirken, müssen diese Prozesse im Detail beobachtet werden, und zwar auf ihren natürlichen Längen- und Zeitskalen – also in millionstel Millimetern und billiardstel Sekunden. Trotz großer Fortschritte auf dem Gebiet ist es bisher allerdings noch niemandem gelungen, schnelle Strukturveränderungen an Oberflächen – wie etwa bei vielen chemischen Reaktionen – direkt zu „filmen“.

Dies soll sich nun ändern. Mit den ERC-Fördergeldern möchten die Forschenden um Ropers kurze Elektronenblitze verwenden, um Schnappschüsse des momentanen Zustands einer Oberfläche aufzunehmen. Mithilfe einer speziellen Messmethode wird dafür mit einem Laserimpuls ein Prozess gestartet und nach einer definierten Zeit aufgenommen. Danach kehrt die Probe in ihren Ausgangszustand zurück. Setzt man viele solcher Aufnahmen mit variierenden Abständen zwischen Laser- und Elektronenblitz zusammen, lassen sich analog zur Stop-Motion-Filmtechnik komplexe Abläufe „filmen“ und analysieren.

„Diese Methode wird uns völlig neue Einblicke in die Dynamik an Oberflächen geben“, sagt Ropers. „Relevante Anwendungen sind zum Beispiel Schaltvorgänge, bei denen Materialien durch den Laserpuls von einem Isolator zu einem Metall umgewandelt werden können.“ Johannes Otto, designierter Doktorand für das EU-Projekt, ergänzt: „Auch beim Abbilden molekularer Schwingungen an Kristalloberflächen erhoffen wir uns neue Einblicke. Ich bin schon sehr gespannt, die ersten Schnappschüsse einer laserangeregten Oberfläche aufzunehmen.“

Claus Ropers studierte Physik an der Universität Göttingen und der University of California, Berkeley (USA) und promovierte 2007 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er kehrte 2008 zurück nach Göttingen, wo er als Juniorprofessor und Leiter der Arbeitsgruppe Nano-Optik und ultraschnelle Dynamik forschte. 2011 berief ihn die Universität als Professor, und von 2013 bis 2021 leitete Ropers das IV. Physikalische Institut – Festkörper und Nanostrukturen. Seine Direktorenstelle am Göttinger MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (bis Ende 2021 MPI für biophysikalische Chemie) trat der Physiker 2020 zunächst im Nebenamt an, seit 2021 ist er dort im Hauptamt tätig. Für seine Forschung erhielt Ropers zahlreiche Auszeichnungen, darunter den  Walter-Schottky-Preis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, den Klung-Wilhelmy Wissenschaftspreis, den Ernst-Ruska-Preis sowie den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 2021 wurde er in die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gewählt. (kf, cro)

Über die ERC Advanced Grants

Die Europäische Kommission hat den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) 2007 eingerichtet, um herausragende Wissenschaftler*innen mit innovativen Forschungsprojekten zu fördern. Seit 2008 vergibt der ERC die sogenannten Advanced Grants an Wissenschaftler*innen, die unabhängige Gruppen leiten und mindestens zehn Jahre exzellenter Forschung vorweisen können. Im diesjährigen Wettbewerb um die ERC Advanced Grants vergab der ERC 624 Millionen Euro an Fördergeldern.

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