Makromolekulare Maschinen in 3D: Die komplexe Welt der Komplexe
Macromolecular machines in 3D: The complex world of complexes
Forschungsbericht (importiert) 2012 - Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Makromolekulare Komplexe sind kleine Nanomaschinen und übernehmen die wichtigsten Aufgaben biologischer Prozesse. Mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie können die dreidimensionalen (3D-) Strukturen dieser makromolekularen Maschinen hochaufgelöst untersucht und dynamische Vorgänge visualisiert werden. Das "Filmen" dieser Nanomaschinen trägt erheblich zum Verständnis molekularer Vorgänge auf struktureller Ebene bei.
Tiny nano machines called macromolecular complexes participate in the most fundamental biological processes. The high-resolution three-dimensional (3D) structure of these complexes and their dynamic behavior can be studied by cryo electron microscopy. The molecular movies that can be obtained for these nano machines contribute tremendously to our understanding of molecular processes at a structural level.
Makromolekulare Komplexe
Lebende Zellen enthalten eine Vielzahl biologischer Moleküle, die essenzielle Funktionen wie beispielsweise den Stoffwechsel, intrazellulären Transport, Regulation und Zellteilung steuern. Die wichtigsten biologischen Funktionen werden oft von größeren Makromolekülen übernommen, die aus einer Vielzahl einzelner Komponenten aufgebaut sind. Diese Komplexe können aus mehreren Proteinen bestehen, aber auch DNA- oder RNA-Elemente enthalten. Zusammengesetzt ähneln sie einem dreidimensionalen Puzzle aus Komponenten unterschiedlichster Form, Größe und Funktion. Erst im Kontext des komplett aufgebauten makromolekularen Komplexes können diese Moleküle ihre Funktion korrekt ausführen. Man bezeichnet diese makromolekularen Komplexe daher oft auch als molekulare Maschinen [1], da sie wie ihre makroskopischen Verwandten aus verschiedenen Bauteilen aufgebaut sind mit dem Ziel, einen komplexen biologischen Ablauf zu realisieren.
Kryo-Elektronenmikroskopie
Molekulare Maschinen sind oft an Schlüsselstellen der zellulären Vorgänge und der Informationsverarbeitung positioniert. Um die Arbeitsweise von Zellen besser verstehen zu können, ist daher ein detaillierter Einblick in den Aufbau und die Struktur dieser molekularen Maschinen erforderlich. In der Arbeitsgruppe von Holger Stark am MPI für biophysikalische Chemie wird hierfür die Kryo-Elektronenmikroskopie eingesetzt (Abb. 1). Dabei werden einzelne makromolekulare Komplexe im Elektronenmikroskop bei Tieftemperaturen von etwa -195°C abgebildet. Die Information im elektronenmikroskopischen Bild ist vergleichbar mit einem Röntgen-Projektionsbild, allerdings mit beachtlicher Vergrößerung. Wie in der Medizin kann man aus einer Serie von Projektionsbildern eines Objektes die dreidimensionale Struktur berechnen. In der medizinischen Computertomographie wird dafür eine Strahlquelle um den Patienten gedreht, um unterschiedliche "Ansichten" zu erhalten. Im Falle der Kryo-Elektronenmikroskopie erhält man die unterschiedlichen Ansichten durch die zufällige Orientierung einzelner Moleküle im elektronenmikroskopischen Präparat. Eine hohe Zahl von Einzelbildern wird benötigt, um 3D-Strukturen der Moleküle mit aufwändigen Computerprogrammen und leistungsstarken Hochleistungscomputern zu berechnen. Dafür wird am Göttinger Institut nicht nur die entsprechende Software entwickelt, sondern ebenfalls leistungsfähige Computer-Hardware [2]. So wurde im Jahr 2008 Europas größter GPU-Cluster (Graphics Processing Unit oder Graphikkarte) entwickelt und in Betrieb genommen, um genügend Rechenleistung für die Berechnung der dreidimensionalen Strukturen zur Verfügung zu haben. GPUs werden normalerweise zur graphischen Darstellung am Computer-Monitor verwendet. Man kann sich die hohe Rechenleistung einer Vielzahl von GPUs aber auch für aufwändige wissenschaftliche Rechnungen zunutze machen (http://www.mpibpc.mpg.de/344483/10_08).
Moderne Kryo-Elektronenmikroskope sind absolute Hochleistungsinstrumente mit optischen Auflösungen unter 1 Ångström (0.1 Nanometer), ausreichend um Atomabstände direkt im Elektronenmikroskop zu visualisieren. Dies gelingt jedoch nur bei strahlenunempfindlichen, anorganischen Proben. Biologische Proben werden durch die Elektronenstrahlung geschädigt und aus diesem Grund nur mit sehr geringer Elektronendosis aufgenommen. Das führt zu stark verrauschten Bildern, die visuell kaum interpretierbar sind und zuerst aufwändig prozessiert werden müssen. Hohe Auflösungen in den berechneten dreidimensionalen Strukturen werden im Allgemeinen daher nur über eine hohe Anzahl an abgebildeten Molekülen und erheblichen rechenintensiven Aufwand möglich.
3D-Strukturen
Für die Berechnung einer 3D-Struktur werden mehrere tausend Einzelbilder, manchmal auch mehrere millionen Einzelbilder eines Moleküls verwendet (Abb. 1). Die 3D-Strukturen makromolekularer Komplexe können heutzutage zum Teil bei sehr hoher Auflösung bestimmt werden. Strukturen im Auflösungsbereich von 3-5 Ångström sind keine Seltenheit mehr und sind somit bereits nahezu vergleichbar den Auflösungen, die mit Röntgenkristallographie erreicht werden. Dies gilt jedoch im Allgemeinen nur für rigide makromolekulare Komplexe, mit vernachlässigbarer Abweichung in der Struktur einzelner abgebildeter Moleküle. Allerdings gibt es auch dynamische Makromoleküle, bei denen sich einzelne Moleküle in ihrer Struktur und Konformation zum Teil signifikant unterscheiden können. Für solche Komplexe ist es unmöglich, nur eine einzige hochaufgelöste Struktur aus allen vorhandenen Daten zu berechnen. Zuerst müssen die Moleküle daher gemäß ihrer strukturellen Unterschiede im Computer sortiert und "geputzt" werden [3]. Gelingt dies, erhält man nicht nur eine dreidimensionale Struktur des Komplexes (Abb. 2), sondern eine Vielzahl von Strukturvarianten, welche die Dynamik und konformationelle Vielfalt der untersuchten Makromoleküle widerspiegelt (Abb. 3) [4, 5]. Die Möglichkeit der Visualisierung struktureller Dynamik ist wichtig, da Makromoleküle, wie ihre verwandten makroskopischen Maschinen, während des Funktionszyklus verschiedene Zustände einnehmen. Über die Analyse der strukturellen Varianz der Daten ist es somit möglich, einen Einblick in die dynamischen Abläufe makromolekularer Maschinen zu erhalten. Für das Verständnis der Funktionsweise makromolekularer Komplexe ist der Einblick in die dynamischen Veränderungen eine extrem wichtige Information. Es ist auch vorstellbar, dass über diese Kenntnis der dynamischen Abläufe mögliche Fehlfunktionen biologischer Makromoleküle besser analysiert und in Zukunft möglicherweise auch therapiert werden können.
Zeitaufgelöste Dynamik
Die computergestützte Sortierung der Bilder eines Makromoleküls erlaubt es sogar, zeitaufgelöste Informationen zellulärer Vorgänge zu visualisieren. Dafür müssen die Makromoleküle direkt nach dem Start einer biochemischen Reaktion nach definierten Zeiten eingefroren und abgebildet werden. Die Zu- und Abnahme einzelner Reaktionsintermediate kann dann über die Zeitachse verfolgt werden. Am Ende ermöglicht die Kryo-Elektronenmikroskopie, strukturelle Änderungen während eines Reaktionszyklus praktisch in 3D zu "filmen" (Abb. 3). Ein Film über eine makromolekulare Maschine zeigt die wichtigen beweglichen Molekülteile und trägt so erheblich zum Verständnis komplexer molekularer Abläufe auf struktureller Ebene bei. Gelungen ist das der Arbeitsgruppe Stark (in Zusammenarbeit mit Marina Rodnina am MPI für biophysikalische Chemie) am Beispiel der tRNA-Bewegungen im Ribosom, einem makromolekularen Komplex, der die Proteinfabrik der Zelle darstellt [4]. Für die Proteinsynthese müssen an tRNA gebundene Aminosäuren zum Ribosom gebracht werden, wobei das Ribosom selbst die einzelnen Aminosäuren zu einer langen Proteinkette verbindet. Während dieser Synthesereaktion bewegen sich die tRNAs durch das Ribosom. Exakt diese Bewegungen konnten über die computergestützte Bildanalyse von zwei Millionen einzelner Bilder des Ribosoms "gefilmt" werden und liefern nun die Informationen darüber, wie dieser Transport vonstatten geht (Abb. 3). Einen entscheidenden Beitrag scheint die thermische Energie zu spielen [1, 6], da die Dynamik des Ribosoms in großem Maße von der Temperatur der Probe abhängt. Konzeptionell besteht ein großer Unterschied zwischen makroskopischen und mikroskopischen Maschinen. Im Mikrokosmos der Zelle haben die makromolekularen Komplexe so gut wie keine Trägheit (niedrige Reynoldszahl) und die thermische Energie wirkt auf ein Makromolekül vergleichbar einem gigantischen Wirbelsturm auf eine Fliege in der makroskopischen Welt. Es ist somit anzunehmen, dass makromolekulare Komplexe in ihrer strukturellen Dynamik auf bestimmte Temperaturen optimiert sind und in der Lage sind, die thermische Energie in sinnvolle Bewegung umzusetzen. Diese Konzepte genauer zu analysieren und weitere wichtige makromolekulare Komplexe zu untersuchen, ist daher das Forschungsziel für die nächsten Jahre.
Ausblick
Die kryo-elektronenmikroskopischen Arbeiten am Ribosom zeigen, dass Makromoleküle viel dynamischer in ihrer Struktur sind als bisher angenommen und dass dies ein Teil des Konzepts der Funktionsweise von Makromolekülen darstellt. Die Kryo-Elektronenmikroskopie ermöglicht nun, genau diese Dynamik sichtbar zu machen. Zukünftige Arbeiten werden zeigen, wie stark diese Dynamik ausgeprägt ist bei Systemen wie dem Spleißosom (in Zusammenarbeit mit Reinhard Lührmann, MPI für biophysikalische Chemie) oder dem Anaphase Promoting Complex (in Zusammenarbeit mit Jan Michael Peters, Institut für Molekulare Pathologie, Wien). Aktuelle Entwicklungen in der Elektronenmikroskopie, mit neuartigen Optiken und Detektoren, ermöglichen die Aufnahme qualitativ stark verbesserter Bilder. Zudem werden Computer-gestützte Strukturanalysen durch neue Bildverarbeitungs-Methoden und leistungsstarke Computer-Hardware immer präziser. Das Ziel, biologische Prozesse auf nahezu atomarer Ebene verfolgen zu können, rückt durch diese technologischen Verbesserungen in der Kryo-Elektronenmikroskopie in greifbare Nähe.