Andrea Stahlschmidt
Glasbilder

Gedanken zur Ausstellung

Warum Glas? bin ich oft gefragt worden, und ich antworte gewöhnlich: Weil Glas das Licht sichtbar macht. Licht ist niemals beständig und niemals gleich. Mit dem veränderlichen und vielgestaltigen Licht gewinnen die gläsernen Bilder Leben, sie verändern sich im Rhythmus von Tag und Nacht, Sommer und Winter, sie leuchten oder verdämmern, sie werden, so ein Dichterwort, wahre "Zauber-Paradies-Fenster" zur Welt.

Wie Fenster laden denn auch die Bilder dieser Ausstellung den Betrachter ein, hindurchzuschauen auf einen kleinen Ausschnitt der Welt. Einige sind prächtig, verlockend in ihrer Üppigkeit an Linien und Farbe, andere sind streng, wieder andere zurückhaltend bis zur Kargheit. Gerade die Letztgenannten halten den Blick des Betrachters nicht fest, sie öffnen sich zu eigenem Traum und Empfinden. Dieses persönliche Hinzutun ist jedoch für alle gezeigten Bilder wichtig: Unvollständig ohne das Licht, wesentlich Mittler, brauchen sie auf ihrer anderen Seite den Betrachter, der durch sie hindurch auf ein eigenes Stück Wirklichkeit blickt.

Andrea Stahlschmidt


Biografie

  • 1944 geboren in Bad Godesberg
  • Studium und wissenschaftliche Tätigkeiten an den Universitäten Bonn, Münster und Kiel mit Schwerpunkten in Indogermanistik, Germanistik, Volkskunde, Vergleichende und Allgemeine Sprachwissenschaften
  • mehrere Dozententätigkeiten als Realschul-Lehrerin, VHS-Dozentin, pädagogische Mitarbeiterin für den Bereich Frauenbildung und Erwachsenenfortbildung
  • Promotion in den Fächern Allgemeine Sprachwissenschaften, Indologie und Germanistik. Dissertation über das Verbalsystem und die Zeitauffassung der Hopi-Indianer (1983)
  • gemeinsam mit ihrem Mann zahlreiche mehrjährige Aufenthalte auf See und im außereuropäischen Ausland
  • seit 1989 künstlerische Arbeit mit Antik-Glas: Entwürfe, Experimente, Bilder. Ausstellungsbeteiligungen und Einzelausstellungen in Deutschland und Italien

Andrea Stahlschmidt lebt und arbeitet in Kalabrien, Italien.


Glasbilder - vom Arbeiten mit Antik-Glas

 

Andrea Stahlschmidt zeigt "Gläserne Bilder von Erde, Himmel und Meer". Ihr Material ist Antik-Glas. Glas erlaubt - und fordert - andere Möglichkeiten des bildnerischen Ausdrucks als Farbe und Leinwand. Die Bilder dieser Ausstellung sind "mit Licht gemalt", wie Thorn Prikker, ein Meister der modernen Glaskunst des 20. Jahrhunderts, einmal sagte. In unserer Zeit des Kunstlichtes und der gleichmäßigen Helligkeit können die gläsernen Bilder das Licht in seiner Veränderlichkeit sichtbar machen und dem alltäglich gewordenen Wunder die Poesie zurückgeben.

Das Titelbild "Landschaft" zeigt einen Teil der Sonnenscheibe, deren Farben sich in einem bewegten Himmel widerspiegeln. Darunter deuten weiche Erdfarben und sparsame Linien eine Landschaft voller Ruhe und Weite an. Ob die Sonne auf- oder untergeht, ob es Morgen oder Abend ist, bleibt ungesagt. Es ist dem Betrachter überlassen, sein Empfinden bei den veränderlichen Farben im wechselnden Spiel des Lichts immer aufs neue in das Bild hineinzudenken.


Das Material

Die verwendeten Gläser - kostbares Antik-Glas - stammen sämtlich aus der Glashütte A.C. Fischer ("Fischer Echt Antik-Glas"), wo es nach überlieferten Fertigungsverfahren mit der Glasmacherpfeife mundgeblasen und sodann von Hand fertiggestellt wurde. Antik-Glas besteht gewöhnlich aus mehreren Schichten und zeigt wie die originalmittelalterlichen Gläser unterschiedliche Glasdicken, Hüttenrauch, offene Blasen, Schürfe, Haarrisse in der Glasschichtung usw. Diese fertigungstechnisch bedingten "Fehler" sind charakteristisch für das Antik-Glas und verleihen dem einzelnen Werkstück oft einen besonderen Reiz. Der bestechendste Vorzug des Antik-Glases ist aber seine unvergleichliche Farbbrillanz, die außerordentliche Leuchtkraft der intensivsten wie auch der zartesten Farbtöne. Eine andere Eigenart ist das schöne und verwirrende Spiel von Linien und Mustern in den mehrfarbigen Gläsern, das der Kunst des Glasbläsers und gelegentlich auch dem Zufall zu danken ist.

Die verwendeten Gläser sind unwiederbringlich. Die Glashütte A.C. Fischer in Bramsche existiert nicht mehr, und mit ihr ist auch ein wesentlicher Teil ihrer Fertigungsverfahren und ihrer eigenwilligen Techniken verloren. Jedes Ausstellungsstück ist mithin im zweifachen Sinne ein Unikat.


Die Technik

Das edle gläserne Material wird mit traditionellen Werkzeugen angeritzt, gebrochen, geschliffen und nach der im 19. Jahrhundert von L.C. Tiffany entwickelten Technik zusammengefügt. Das heißt, die Bruchkanten des Glases werden mit Kupferfolie eingefasst, auf welche Lötzinn - mit Hilfe eines Lötkolbens hocherhitzt - in flüssigem Zustand aufgebracht wird. Der erstarrte Lötzinn bildet die "Nähte" des Werkstücks. Der gesamte Vorgang erfordert Sorgfalt und große Geduld. Denn die Merkmale alter Handwerkskunst, die das Antik-Glas auszeichnen, erschweren seine Verarbeitung: Dasselbe "Blatt" zeigt unterschiedliche Glasdicken von mehreren Millimetern, es ist niemals plan, und es weist trotz ausgeklügelten Abkühlungsverfahren in der Glashütte innere Spannungen auf. In jedem Stadium der Verarbeitung kann das Glas deshalb "springen" und alle Mühe zunichte machen. Die Schwierigkeiten wachsen mit der Größe der verwendeten Glasflächen. Sie wachsen so gravierend, dass die hier gezeigte Technik üblicherweise als undurchführbar gilt. Die Farbwirkung der großen Glasflächen und die trügerisch einfache Linienführung erlauben jedoch Effekte, die mit keiner anderen Methode der Glasbearbeitung zu erzielen sind.


Laudatio zur Ausstellungseröffnung

Licht ist der gemeinsame Nenner, das verbindende Glied und das entscheidende Element, durch das sowohl die Glasbilder von Andrea Stahlschmidt als auch die Aquarelle von Folke Lindenblatt erst ihren leuchtenden Ausdruck erhalten. Die klaren Farben der 42 Arbeiten von Folke Lindenblatt haben eine intensive Strahlkraft, von denen ein imaginäres Licht auszugehen scheint. Und die 28 Werke von Andrea Stahlschmidt offenbaren erst durch das wechselvolle Spiel des Lichts ihre schillernde Farbpracht.

Durch das sichere Gespür von Herrn Nauber sind Werke zweier Künstlerinnen zusammen gebracht worden, die sich gegenseitig im harmonischen Dialog bereichern und uns die nächsten Wochen zum Verweilen an diesem Durchgangsort einladen. Sie werden viele Berührungspunkte in den Farbharmonien und den Motiven entdecken. Die reizvolle Spannung zwischen den Aquarellen und den Glasbildern entsteht jedoch durch die künstlerischen Techniken, die kaum kontrastreicher sein könnten. Werden hier farbige Gläser wie bei einem Mosaik zu Bildern zusammengesetzt, wird dort auf der Fläche des Papiers das Motiv mit luziden Wasserfarben entwickelt.

Das Aquarell wird von Folke Lindenblatt (*1962 Bochum) in der Form der Mischtechnik verwendet. Dabei nutzt sie die Vorteile der wasserlöslichen, transparenten Farben und unterstreicht deren Wirkung durch Ölkreide und Graphit. Der grobe Torchon-Karton ist als Bildträger für diese Technik besonders gut geeignet. Die Ölkreide haftet auf den erhabenen Stellen, während die Wasserfarbe - abgestoßen von der fetten Kreide - in die Vertiefungen sinkt. Das Graphit wird mal pur, mal in die noch feuchte Aquarellfarbe gebracht. Um die Formen nicht verschwimmen zu lassen, setzt Folke Lindenblatt den Graphitstrich als kräftige Kontur ein. Nicht zufällig scheint die Aquarellmalerei für sie die geeignetste zu sein, denn viele Motive haben etwas mit Wasser zu tun: Städte und Landschaften am Meer, Schiffe, Meerestiere, Strandgut oder einfach nur die weite brausende See. Gerade das Meer, mit seiner sich stets verändernden Gestalt, fesselt sie immer wieder. Es ist eine Herausforderung, das nie stillstehende Meer in seiner Vielfarbigkeit und Vielgestaltigkeit festzuhalten.

Ungewöhnlich ist bei einigen Motiven die Wahl der Bildformate: Die heranrollende Welle wird nicht etwa entsprechend ihrer naturgegebenen Form in einem Querformat dargestellt, sondern in den schmaleren Ausschnitt des Hochformats gebannt. Diese Sicht auf die Natur ist ebenso reizvoll wie die Stadtansichten von Amsterdam, Bern oder Paris mit ihren übereinander gestaffelten Häuserreihen. Die Vedute entwickelt sich nicht in der Horizontalen, sondern führt unser Auge in der Vertikalen durch die Gassen und Grachten der Städte.

Für Folke Lindenblatt ist die erlebte Naturstimmung, besonders auf ihren Reisen, die den Norden und das Meer zum Ziel haben, Ideengeber und Inspiration. Sie will das klare Licht, die intensiven Farben, die Dörfer und Landschaften in ihren immer wiederkehrenden Eigenheiten malerisch festhalten. Gerade die gereinigte Atmosphäre am Meer verlockt sie, denn alles tritt klar hervor. Sogar weit entfernt liegende Motive rücken scheinbar nah heran mit erstaunlicher Deutlichkeit und Farbigkeit. Die ersten Eindrücke werden photographisch festgehalten und manchmal wird ein Motiv erst Jahre später ins Bild umgesetzt. So fließt zu dem erst nur oberflächlich Gesehenen, der Eindruck der jeweiligen Situation sowie das individuelle Gefühl entscheidend mit in die malerische Gestaltung ein.

Besonders erstaunen die vielen großformatigen Bilder, denn eigentlich verlangt die Aquarellmalerei kleine, schnell zu bearbeitende Flächen. Und doch wagt Folke Lindenblatt ihre Motive auf zum Teil mehr als ein mal ein Meter Fläche zu entwickeln. Dabei lässt sie sich durchaus Zeit und komponiert ohne vorherige Skizze das Bild im Kopf, um dann nach und nach die einzelnen Bildflächen zu füllen. Es ist der Vorteil einer Autodidaktin, mutiger und unbefangener an künstlerische Techniken herangehen zu können. Bereits mit 16 Jahren hat sie angefangen zu malen und lebt heute als Graphikerin und freischaffende Künstlerin mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann in West Sussex, England. Ihre Werke sind seit 1988 in Einzel- und Gruppenausstellungen in vielen deutschen Städte und im Ausland gezeigt worden. Gefasste Holzschnitzarbeiten, von denen auch drei in der Ausstellung gezeigt werden und bemalte Stoffe bereichern ihr Repertoire. Darüber hinaus ist sie als Illustratorin für naturwissenschaftliche Bücher tätig. Einen Eindruck mit welcher Präzision die studierte Biologin sich einem Grashalm nähert, erhalten wir in den Pflanzenaquarellen. Über die Jahrzehnte hinweg hat Folke Lindenblatt so ihren ganz eigenen Malstil sowie eigene Maltechnik entwickelt und sich nicht durch akademische Prinzipien einschränken lassen.

Die Bilder betören durch ihren Farbenrausch und rufen durch die Motivik mal Urlaubsstimmung, mal Erinnerungen an einen vergangenen Aufenthalt am Meer hervor.

Es gilt, Bilder voll vielschichtiger Intensität zu entdecken und sie durch unsere eigenen Erlebnisse zu bereichern.

Lassen Sie uns nun von den Bildern auf Papier zu den Bilder aus Glas, zu dieser ganz anderen künstlerischen Technik, kommen: Andrea Stahlschmidt (*1944 Bad Godesberg) verwendet mundgeblasenes Antik-Glas, dass sie aus den wenigen Glashütten, die es in Deutschland gab, bezog. Mittlerweile existiert nur noch eine in Süddeutschland, sodass die verwendeten Gläser zu raren Stücken geworden sind. Das Besondere am Antik-Glas ist, dass es aus mehreren Schichten besteht. Durch Beimischung von Metallen oder Mineralien entstehen intensive aber auch zarte Farben voll Brillianz und Leuchtkraft. Das lebhafte Spiel der Linien und Muster in dem anorganischen Schmelzprodukt verdanken wir entweder der Kunst des Glasbläsers oder manchmal auch dem Zufall. Bei über 1400º-1600º C wird das Gemenge - hauptsächlich Siliciumdioxid - geschmolzen und bei 900º-1200º C geformt. Die unterschiedliche Dicke, offene Blasen, Schürfe oder Haarrisse sowie Hüttenrauch machen hierbei den besonderen Reiz der seidigen Farbschlieren und mehrfarbigen Verläufe aus. Das Nebeneinander von durchsichtigen und schwach milchig, opalisierenden Flächen belebt die Motive.

Bei der mühsamen und körperlich schweren Bearbeitung ritzt, bricht und schleift Andrea Stahlschmidt die unterschiedlich großen Glasblätter. Das Zusammenfügen der einzelnen Stücke erfolgt nach der von Louis Comfort Tiffany (1848-1933) Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Technik. Dabei werden die Bruchkanten mit Kupferfolie umfasst und mit flüssigem Lötzinn - einer Mischung aus Blei und Zinn - zu dem Gesamtbild verlötet. Sie rhythmisieren und ordnen die Bilderfindungen.

Andrea Stahlschmidt hat sich die Glasbildnerei autodidaktisch angeeignet und bringt neben einem sicheren Auge für Farbharmonien und Komposition vor allem Geduld und Sorgfalt mit. Diese Eigenschaften sind Voraussetzung für das Gelingen der Glasbilder. Zwar gilt in Fachkreisen die Art der Bearbeitung als undurchführbar, aber Andrea Stahlschmidt beweist das Gegenteil und wagt sich auch noch an relativ große Formate heran. Damit steigt vor allem die Schwierigkeit der Bearbeitung, da die Glasblätter nie eben oder gleichmäßig sind und teilweise durch die enorme innere Spannung leicht zerspringen. Wie die Künstlerin selbst sagt, sei Glas manchmal etwas zickig.

Bei dem Bild "Mandelbrot" von 1994 hat sich Andrea Stahlschmidt eine Herausforderung gestellt: Mit einem Stein wurde die Scheibe an zwei Stellen eingeschlagen, die Bruchstücke mühselig geborgen, sortiert und nummeriert und dann wieder zusammengefügt. In Anlehnung an die fraktale Geometrie nach dem Mathematiker Mandelbrot, ähneln sich beide Zersplitterungen in ihren Mustern auf erstaunliche Weise. Durch geschickte - wenn auch zufällige - Hängung gelang es, das Bild "Coral Strand" von Folke Lindenblatt mit in diese "Selbstähnlichkeits"-Theorie einzubeziehen.

Die hier gezeigten Glasbilder entstanden in der Zeit von 1989 bis heute und ermöglichen einen Einblick in die Wandlungsfähigkeit und Vielfalt von Andrea Stahlschmidts Werk. Leider dauerte es lange, bis sie ihre Werke der Öffentlichkeit zeigte, denn erst 1992 fand in Walsrode die erste Ausstellung statt. Seitdem nutzt die in Kalabrien lebende Künstlerin viele Gelegenheiten, ihre Arbeiten zu zeigen. Es sind Bilder von der Erde, dem Himmel und dem Meer, die sie durch die vielen Jahre auf See in all ihren Facetten kennengelernt hat. Sie begleitete ihren Mann, der Kapitän zur See ist, auf seinen Fahrten und lernte so andere Länder und Kulturen, was auch der Altphilologin in ihr entgegen kam, kennen. Aber vor allem die Aufenthalte in Texas und Kalifornien gaben maßgebliche Anregungen, denn dort ist farbiges Glas nicht nur in Kirchen oder Kneipen zu finden, sondern auch in Privaträumen.

Das sich verändernde Licht des Tages - vom frühen Morgen bis zur Dämmerung - lässt die Glasbilder lebendig werden. Der Wechsel des Lichts führt zu einem ständigen Wandel in der Farbwirkung und damit in der Wahrnehmung des Betrachters. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Hintergrund, vor dem das Motiv hängt. Das Glasbild gibt Einblick und Ausblick auf die Welt zugleich. In jedem Motiv kann ein kleiner Ausschnitt der Welt entdeckt werden: Die Welt der Kinder, der Pflanzen, der Landschaften. Die Titel können zusätzliche Anregung für Gedankenanstöße bei der Bildbetrachtung sein. Wesentlich dabei ist jedoch, dass jeder von uns durch sein Empfinden die Aussagekraft der Bilder bereichern kann.

So gilt sowohl für die Glasbilder von Andrea Stahlschmidt als auch für die Aquarelle von Folke Lindenblatt, dass die eigenen Gedanken angeregt werden sollen und wir eine Reise in uns selbst unternehmen können. Der Berliner Kunstkritiker Herwarth Walden (1878-1941) hat mit einem Satz deutlich gemacht, was uns bei der Wahrnehmung der Welt durch die Kunst gegeben wird: "Der Künstler schafft nicht den Eindruck von außen, sondern den Ausdruck von innen."

Caren Barbara Schweder

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