Ein Quanten-Oszilloskop für den Nanokosmos 

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Autoren
Ropers, Claus
Abteilungen
Abteilung Ultraschnelle Dynamik
Zusammenfassung
Ein neuartiges Messverfahren nutzt die quantenmechanische Wechselwirkung freier Elektronen mit Lichtfeldern, um optische Felder auf der Nanometerskala zeitaufgelöst sichtbar zu machen. Ein Elektronenstrahl wird dabei an einer beleuchteten Nanostruktur moduliert und mit einem Referenzfeld überlagert. Aus der resultierenden Energieverteilung der Elektronen rekonstruiert die Methode den Lichtfeldverlauf und fungiert somit als „Quanten-Oszilloskop“.

Einführung

Licht besteht, ebenso wie Radiowellen oder Röntgenstrahlung, aus schnell schwingenden elektrischen und magnetischen Feldern. Als Helligkeit und Farbe nehmen wir lediglich die Intensität und, mit Einschränkungen, die Frequenz des Lichts wahr, das auf unsere Netzhaut fällt. Unsere Sinne reagieren jedoch weder empfindlich auf die Polarisation von Lichtwellen noch auf ihre Phase, also die genaue Ankunftszeit eines Wellenbergs. Diese Größen spielen jedoch eine zentrale Rolle bei den grundlegenden Wechselwirkungen von Licht mit Materie, insbesondere auf der Nanometerskala weit unterhalb der optischen Wellenlänge.

Nanoskalige Lichtfelder

Die Details der Ausbreitung und Konzentration elektromagnetischer Wellen sind von großem Interesse in der Energieforschung, da sie die Funktion nanostrukturierter Materialien, beispielsweise in der Photovoltaik und lichtunterstützten Katalyse, maßgeblich beeinflussen können. Die atomare Struktur der in diesen Technologiebereichen relevanten Materialien kann heute routinemäßig bestimmt werden, und die Elektronenmikroskopie nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein. Bis vor Kurzem waren jedoch Elektronenmikroskope nicht in der Lage, die räumlichen und zeitlichen Oszillationen nanoskaliger Lichtwellen direkt abzubilden. Nun haben wir ein neues Messverfahren entwickelt, in der der Strahl eines Elektronenmikroskops als phasenempfindliche Nanosonde für Lichtfelder dient [1].

Zum besseren Verständnis gehen wir einen Schritt zurück und betrachten elektromagnetische Signale im Radiowellenbereich und bei Handyfrequenzen, die zwar langsamer als Licht oszillieren, aber bereits einige Milliarden Schwingungen pro Sekunde durchlaufen. Insbesondere das analoge Oszilloskop, das vielen noch aus der Schule vertraut sein könnte, bietet hier ein anschauliches Beispiel. Das zu messende elektrische Signal lenkt im Oszilloskop einen Elektronenstrahl vertikal ab, der dann auf einen Leuchtschirm trifft. Eine gleichmäßige horizontale Ablenkung des Strahls ergibt eine zeitliche Abbildung des Signals (Abb. 2, Kasten Oszilloskop). Diese Technik ist zwar noch im Einsatz, wird allerdings heute weitgehend durch ausschließlich digitale Messungen ersetzt. In den optischen Frequenzbereich jedoch konnten bisher weder analoge noch digitale Verfahren vordringen.

Elektronenwellen als Sensor für Lichtfelder

Eine fundamentale Herausforderung bei der Wechselwirkung von Elektronenstrahlen mit optischen Feldern ergibt sich durch die Gesetze der Quantenmechanik: Bei extrem hohen Frequenzen von hunderten Billionen Schwingungen pro Sekunde müssen die Quanteneigenschaften der Elektronen und ihre eigene Wellennatur betrachtet werden. Durchläuft die ausgedehnte Wellenfunktion eines schnellen Elektrons das Lichtfeld an einer beleuchteten Nanostruktur, so erfährt die Wellenfunktion entlang ihres Verlaufs unterschiedliche Felder (s. Abb. 2). Es ergibt sich eine zeitlich modulierte Elektronenwelle, der die Oszillation des Lichtfeldes aufgeprägt wurde. Das Prinzip ähnelt der Aufprägung akustischer Signale auf eine Radiowelle, wie sie beim FM-Radio – mittels Frequenzmodulation – geschieht.

In unserem Fall wird das Elektron als Trägerwelle genutzt, das die Lichtschwingung als Information mitführt. Um diese Information auszulesen, wird eine Art Empfänger gebraucht. Wir erreichen dies, indem dasselbe Elektron nach dem Passieren der untersuchten Probe ein zweites Mal mit einem Lichtfeld wechselwirkt. Diesmal allerdings handelt es sich um ein räumlich homogenes Feld bei gleicher Frequenz, erzeugt an einem für Elektronen durchlässigen Film. Je nach eingestellter Ankunftszeit dieses Referenz-Lichtfeldes – also seiner Phase – verstärkt es die vorhandene Modulation der Elektronenwelle oder schwächt sie ab.

Die jeweils resultierende Stärke der Modulation kann nun beobachtet werden, indem man die Geschwindigkeitsverteilung der Elektronen misst. Die Elektronen durchlaufen zu diesem Zweck ein Magnetfeld, und die Lorentzkraft lenkt sie in Abhängigkeit ihrer Geschwindigkeit ab. Die Modulation der Wellenfunktion bedeutet physikalisch, dass die Welle aus einer Überlagerung verschiedener Geschwindigkeiten besteht. Eine starke Modulation entspricht einer breiteren Geschwindigkeitsverteilung als eine schwache. Aus der Veränderung dieser gemessenen Verteilung mit der eingestellten Referenzphase kann somit der komplette zeitliche Verlauf des Lichtfeldes rekonstruiert werden.

Realisierung im Elektronenmikroskop

Wir haben dieses Prinzip in einem Elektronenmikroskop erfolgreich umgesetzt und den Elektronenstrahl auf einen Durchmesser von wenigen Nanometern fokussiert. Rastert man nun den Strahl über die Struktur und wiederholt den Messvorgang an jedem Ort, so kann mit diesem nun als Quanten-Oszilloskop funktionierendem Verfahren das optische Feld auf der Nanometerskala präzise vermessen. Abbildung 2 (unten) zeigt ein elektronenmikroskopisches Bild einer dreieckigen Struktur mit einer Kantenlänge von 100 Nanometern sowie eine Zeitserie des elektrischen Feldes über eine optische Periode.

Aufgrund der Verwandtschaft zu existierenden Techniken in der Quantenoptik wird die neue Technik „homodyne Detektion freier Elektronen“ genannt. Eine solche Bestimmung des Quantenzustands freier Elektronen eröffnet neben der Vermessung optischer Felder weitere, gänzlich neue Möglichkeiten für die Elektronenmikroskopie. So können lichtinduzierte Änderungen der elektronischen Bänder in angeregten Materialien oder ultraschnelle Strukturänderungen nun mit einer Auflösung innerhalb des Lichtzyklus vermessen werden. Insgesamt verspricht diese quantenbasierte Messtechnologie faszinierende und vielfältige Einblicke in die grundlegenden Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie auf kleinsten Skalen. 

Literaturhinweise

Gaida, J.H.; Lourenço-Martins, H.; Sivis, M.;  Rittmann, T.; , Feist, A.;  García de Abajo, F.J.; Ropers, C.
Attosecond Electron Microscopy by Free-Electron Homodyne Detection
Nature Photonics 18, 509–515 (2024)
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